Game Changer
Es schmerzt, wenn laute Rufer aus den Rändern der Community vorgeben, es besser zu wissen.
Es schmerzt, wenn Personen und Institutionen außerhalb der Community glauben, es besser zu verstehen – und dann auch noch an SAP Auszeichnungen und Preise vergeben, um lediglich sich selbst ins Rampenlicht zu setzen.
Ich schreibe diese Zeilen auf der Rückreise vom SAP-Executive-Event Select 2016 Berlin.
Vor mir liegt die aktuelle Ausgabe des Manager Magazins und hinter mir verstörende Tage in einer mir nicht bekannten SAP–Community.
Meine Einstellung zu Szene-Events sollte hier bekannt sein: CeBIT, Sapphire und TechEd sind in der Regel keinen Besuch wert. Meine Mitarbeiter dürfen hingegen auf die DSAG-Technologietage und zum Jahreskongress.
Eine persönliche Einladung vom Vorstand war somit die legendäre Ausnahme von der Regel: Ja, ich war auf der SAP Select in Berlin, einem europäischen Executive-Treffpunkt für SAP-Bestandskunden und VIPs.
„Der Walldorfer Softwarekonzern liefert mit seiner neuartigen Datenbanktechnologie die Basis für die Digitalisierung der Wirtschaft“
ist im aktuellen Manager Magazin über SAP zu lesen.
Gemeint ist Hana und natürlich die Datenbanktechnik „In-memory Computing“. Die Technologie dazu wurde am Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam entwickelt.
Die Technologie ist nicht neuartig: Bereits vor weit über zehn Jahren gab es bei SAP eine In-memory-Computing-Datenbank.
Das R/3-Modul APO (Advanced Planning and Optimization) war erschreckend langsam und damit unbrauchbar, erst eine eigene Datenbankmaschine, die vollständig im Hauptspeicher realisiert war, machte aus dem APO ein hinreichend brauchbares Werkzeug.
Hana ist weder revolutionär noch disruptiv.Hana ist das Ergebnis einer technischen Weiterentwicklung: leistungsfähigere Prozessoren und preiswerter Halbleiterspeicher. Aus diesem Grund entstand Hana auch in enger Partnerschaft mit Intel.
„Heute wird Hana weltweit als disruptiv bewertet“
wird SAP-Technikvorstand Bernd Leukert im Manager Magazin zitiert.
Das einzig Disruptive, das die SAP–Community erkennen kann, ist das geänderte Lizenzmodell: Ab sofort ist es mit Vielfalt und Offenheit in der Community vorbei.
Mit Hana errichtet SAP eine Monokultur, ein Datenbank-Diktat!
Ab 2025 soll SAP-Software nur noch auf Hana lauffähig sein – das ist disruptiv!
An dem vor mir liegenden Text aus dem Manager Magazin gibt es viel zu beanstanden.
Was mich besonders stört, ist jedoch die Grundaussage:
Hana liefert die Basis für die Digitalisierung der Wirtschaft.
Diese Aussage ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Mein hochgeschätzter Kollege Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der DSAG e. V., hat auf dem vergangenen Jahreskongress in Nürnberg versucht, dieser gefährlichen Meinung entgegenzutreten.
Diplomatisch sehr geschickt kritisierte er nicht Hana und S/4, sondern lobte die SAP Business Suite 7. Diese Suite ist das weltweit mächtigste ERP-System und läuft auf unterschiedlichen Betriebssystemen und zahlreichen Datenbanken (Oracle, Microsoft SQL, IBM DB2, Sybase ASE/IQ) – und naturgemäß auch auf Hana, dann heißt es SoH.
Lencks Aussage zusammengefasst: Für die wichtige und notwendige Digitalisierung eignet sich auch die Suite 7 mit AnyDB ganz hervorragend – es braucht nicht unbedingt Hana.
Die Digitalisierung in unserem Konzernverbund ist eine betriebswirtschaftliche, organisatorische und finanzielle Herausforderung.
In den Fällen, wo das Datenvolumen extrem hoch ist, verwenden wir Hana und Hadoop – das funktioniert überraschend gut und sehr schnell.
Mit der Digitalisierung unserer Wirtschaft hat aber Geschwindigkeit nichts gemeinsam. Bei uns geht es um neue Geschäftsprozesse und manchmal sogar um neue Geschäftsmodelle.
Jeder, der „Technologie“ zur Bewältigung der digitalen Transformation verwenden will, scheitert schon am ersten Tag. Somit war die Verleihung eines Game-Changer-Preises an SAP–Vorstandsvorsitzenden Bill McDermott in Berlin sehr peinlich und wenig hilfreich für die wahren Anliegen der SAP–Community.
Marco Lenck hat recht. Der Digitalisierung muss unsere ganze Aufmerksamkeit gelten, welche Werkzeuge wir dafür verwenden, muss nachrangig sein – ist aber in keinem Fall preiswürdig.
Wie es wirklich um Hana steht, verrät SAP: Als im Frühjahr 2010 dieses Datenbankmodell vorgestellt wurde, unter Federführung von Ex-SAP-Technikvorstand Vishal Sikka (heute CEO bei Infosys), veröffentlichte SAP in der Folge regelmäßig die Implementierungszahlen.
Als diese Adaptionsrate ins Stocken geriet, die Wachstumskurve abflachte, stoppte man über Nacht die Veröffentlichung der Marktzahlen – seit damals spricht man nur noch über das gewaltige Potenzial von Hana, das sich in Zukunft realisieren lassen sollte.
Aber vielleicht bekam McDermott in Berlin seinen Preis nicht für Hana, sondern für das geschickte Marketing rund um Hana?