BTP: Pragmatismus versus Roadmap
Der offizielle Sprachgebrauch bei SAP vermittelt den Eindruck, dass BTP eine Ergänzung für S/4 Hana sei, um weiterhin Modifikationen, Add-ons, Abap-Programmierung und KI zu realisieren. Irgendwo mäandert zwischen S/4 und BTP das Clean-Core-Konzept und alles scheint auf ein zukünftiges Cloud-only ausgerichtet zu sein.
Jedenfalls scheinen S/4 (inklusive Hana), BTP und Clean Core die neue Dreifaltigkeit bei SAP zu sein. Wirklich? Meine Frau, die mir beim Schreiben über die Schulter schaute, meinte lediglich, sei nicht blasphemisch und gib auch den jungen SAP-Vorständen Christian Klein und Thomas Saueressig eine Chance. Ich meine es ernst: Jenseits von 2030 kann es eine befriedigende Dreifaltigkeit in der Cloud geben, aber bis dahin bleibt das ERP nicht stehen.
Modifikationen und ERP-Add-ons begleiten die SAP-Bestandskunden seit R/2. Die SAP-Programmiersprache durchlief in den vergangenen Jahren mehrfache Metamorphosen. Nun steht mit Cloud Computing auf Basis der Business Technology Platform der nächste Paradigmenwechsel an. Abap-Programme waren stets auf On-prem-Systeme ausgerichtet. Für ein Zielsystem sind die existierenden Modifikationen und Add-ons kaum mehr zu gebrauchen. Mittlerweile gibt es aber Abap-Spracherweiterungen und SAP BTP, um auch Cloud-Systeme bedienen zu können.
Bei SAP wünschen sich die Verantwortlichen natürlich eine lupenreine ERP-Roadmap, die mit Hana beginnt, über S/4 führt, Clean Core berücksichtigt und auf der Business Technology Platform vorläufig endet. So muss es jedoch nicht sein. SAP BTP kann auch ECC-6.0-Bestandskunden über die Hyperscaler oder als Container im eigenen Rechenzentrum zur Verfügung stehen. BTP ist in keiner Weise an S/4 gebunden. In jedem Fall sollte das Clean-Core-Konzept jedoch Anwendung finden. Somit scheinen Abap, BTP und Clean Core für langjährige Bestandskunden wesentlich relevanter zu sein als eine SAP’sche S/4-Roadmap.
Mit einem sehr pragmatischen Ansatz kann die SAP-Community nun offensichtlich beruhigter in die Zukunft schreiten. Mit dem Clean-Core-Konzept und einer BTP auf Hyperscaler- oder Container-Basis lassen sich Abap-Modifikationen verwirklichen, die bereits Cloud-ready sind. Viele unserer ERP/ECC-Systeme werden noch einige Jahre in einer On-prem-Architektur verfügbar sein. Weil aber das ERP-Leben stetig Veränderungen mit sich bringt, werden wir gewissenhaft darauf achten, nur noch solche Abap-Programme zu erstellen, die auch zukünftig in einer Cloud-Umgebung zur Anwendung kommen können.
Ist SAP besser als der Ruf? Ist SAP flexibler und offener, als CEO Christian Klein viele Bestandskunden glauben machen will? Die Kombination aus ECC 6.0, BTP und Abap scheint jedenfalls ein sehr pragmatisches Modell zu sein, um die aktuelle Cloud-Krise zu überwinden. Denn Cloud Computing kann ein ERP-Zukunftsmodell sein, aber für viele SAP-Bestandskunden erst weit jenseits von 2030. Die Brechstangenmethode von SAP, eine Public Cloud als das Nonplusultra darzustellen, ist in einer langfristigen Architekturdiskussion vollkommen deplatziert. Der SAP-Clean-Core-Roadmap fehlt der offizielle Pragmatismus. Inoffiziell bietet uns Bestandskunden eine SAP wesentlich mehr, als auf den bunten Webseiten des ERP-Weltmarktführers zu lesen ist.
Nach unseren eigenen Recherchen habe ich mich bei meinen Stammtischschwestern und -brüdern umgehört, und konnte zu meiner großen Überraschung feststellen, dass BTP aktuell wesentlich verbreiteter ist, als es offiziell den Anschein macht. Weil SAP keine Generallizenz für diese Plattform ausstellt, sondern lediglich einzelne Funktionen lizenziert, verlieren einige Bestandskunden und anscheinend auch SAP selbst schnell einmal den Überblick.
Das Framework einer Business Technology Platform scheint hervorragend geeignet zu sein für On-prem, Hybrid sowie Private und Public Cloud. Aufgrund der Bereitstellung der BTP durch Hyperscaler und mit etwas Geschick auch als Container in einer Open-Source-Landschaft lassen sich aktuell Anwendungen umsetzen, die für mannigfaltige Zukunftsszenarien vorbereitet sind. Die Auswahl der richtigen Entwicklungspartner versteht sich von selbst.