SAP-Invoicing der Zukunft
Die Luft ist rauchgeschwängert, der Schreibtisch quillt über: Dokumente und Rechnungen, wohin das Auge reicht. Sind die ersten Eingänge abgearbeitet, folgen zugleich die nächsten. Die Arbeit der Büroangestellten gleicht eher dem Kampf gegen eine Hydra – jenes vielköpfige Ungeheuer der griechischen Mythologie, dessen Köpfe beständig nachwachsen – als der geordneten Arbeit in einem auf Effizienz ausgerichteten Unternehmen.
Das Bild ist überspitzt. „Dennoch entstehen bei vielen Unternehmen auch heute noch wegen eines fehlerhaften oder zu langsamen Invoicing unnötige Kosten für Korrekturen sowie entgangene Einsparungen – beispielsweise, weil sie Zahlungsziele nicht einhalten und so auf Skonto verzichten“, referiert Ulrich Winter, Head of Application Management beim Digital-Engineering-Experten Nagarro, seine Erfahrungen aus zahlreichen Projekten bei verschiedensten Kunden. „Für uns kristallisierte sich daher heraus: In Zeiten, in denen sich Menschen via App an ausreichend Bewegung erinnern und KI-Hausaufgaben erledigen lassen, muss auch ein kosten-effizientes, zeitsparendes Invoicing möglich sein. Da wir entsprechende Lösungen am Markt nicht vorfanden, entschlossen wir uns kurzerhand, diese selbst zu entwickeln.“
Invoice-Scanner für SAP
Ulrich Winter machte sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen an die Arbeit. Das Ziel: ein Invoice-Scanner für SAP, der den Prozess des Rechnungseingangs automatisiert und dadurch Effizienzreserven hebt. Durch die nahtlose Integration in S/4 wollte Nagarro dabei eine einheitliche Plattform schaffen, die den Bedarf an unterschiedlichen Systemen beseitigt und die Datenintegrität im gesamten Unternehmen fördert. „Die Lösung sollte zusätzlich einen besseren Einblick in den Lebenszyklus der Rechnungsverarbeitung mit Echtzeit-Updates bieten und damit eine leichtere Entscheidungsfindung und ein optimiertes Cashflow-Management ermöglichen und sowohl für Cloud- als auch On-Prem-Systeme nutzbar sein“, ergänzt Ulrich Winter diese Idee.
Effizienz durch KI und OCR
Um den Rechnungsprozess zu optimieren, setzte das Entwicklungsteam bei Nagarro von Beginn an auf maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz – ergänzt um moderne OCR-Engines (Optical Character Recognition, Schrifterkennung). So gelang es ihm, einen Invoicing-Scanner zu entwickeln, der die Rechnungsbearbeitung in drei Schritten durchführt:
“Die Lösung sollte einen besseren Einblick in den Lebenszyklus der Rechnungsverarbeitung mit Echtzeit-Updates bieten.“
Ulrich Winter,
Head of Application Management,
Nagarro
Zunächst liest der Scanner aus verschiedenen Quellen wie beispielsweise Briefen, E-Mail-Postfächern, Dateifreigaben und einer Fiori-Upload-App ab. Dabei erfasst er die Rechnungsrohdaten mittels der dafür neu entwickelten Template-Engine. Diese ist darauf ausgelegt, via OCR vordefinierte Rechnungsvorlagen zu erkennen und Informationen auf der Grundlage der Vorlagen-struktur zu extrahieren. Dadurch kann der Scanner frühzeitig klassische Schlüsselfehler wie etwa falsche Kreditorendetails, Rechnungsnummern und Positionen identifizieren.
Rechnungsdaten interpretieren
Die in der Rechnung enthaltenen Daten muss die Buchhaltung aber nicht nur identifizieren und speichern, sondern gerade bei Unklarheiten auch interpretieren. Hier kommt eine zweite OCR-Engine ins Spiel, die selbstlernende AI/ML-Algorithmen (-Artificial Intelligence/Machine Learning) nutzt, um Rechnungen zu verarbeiten, die nicht den vordefinierten Vorlagen entsprechen oder Abweichungen aufweisen. Dazu nutzt der Scanner fortschrittliche Mustererkennungstechniken, um das Layout, die Struktur und den Inhalt unstrukturierter Rechnungen zu analysieren. Da die KI/ML-Engine kontinuierlich aus den Daten lernt, passt sie sich zudem dauerhaft auf neue Anforderungen an und verbessert ihre Erkennungsfähigkeiten im Laufe der Zeit. „Für Unternehmen führt das zu einer Reihe von Vorteilen“, führt Ulrich Winter näher aus. „Die manuelle Dateneingabe wird überflüssig, die Fehlerquote sinkt und die Datenkonsistenz steigt. Die Mitarbeiter gewinnen dadurch Zeit, sich auf wertschöpfungsintensivere Tätigkeiten zu konzentrieren. Durch die enge Anbindung an S/4 berücksichtigt das System ferner immer aktuelle Daten. Wird zum Beispiel die IBAN eines Lieferanten aktualisiert, erkennt der Invoice-Scanner dies automatisch.“
Lieferantenrechnung erzeugen
Last, but not least erstellt der Scanner eine Lieferantenrechnung in S/4 mit allen identifizierten Informationen, die für die weitere Verarbeitung erforderlich sind. Diese Rechnungen erfasst das System schließlich mit dem Status „gemerkt und erfasst“, um eine weitere Bearbeitung zu ermöglichen. Dabei greift er auf die standardisierten S/4-Workflows zurück, um die Rechnungen auf Basis vorher festgelegter Regeln an die entsprechenden Beteiligten weiterzuleiten. Obwohl es dem Projektteam dank verbesserter KI-Technologien und Ma-chine-Learning-Modellen insgesamt gut gelang, das Invoicing weitgehend zu automatisieren, stellte sich noch eine entscheidende Herausforderung: die ordnungsgemäße Abwicklung der elektronischen Rechnungsstellung. Diese wird ab dem
1. Januar 2025 auch in Deutschland verpflichtend, in anderen europäischen Ländern ist sie es teilweise schon heute. „Für uns war daher klar, dass eine zukunftsfähige Lösung die damit einhergehenden Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit erfüllen muss und auch die Vielzahl unterschiedlicher Formate bewältigen kann“, sagt Ulrich Winter.
Rechtlich war dies weniger herausfordernd, da schon heute die verarbeiteten Rechnungsdaten ausschließlich auf Servern im EU-Raum gehostet werden – und die DSGVO-Konformität damit gesichert ist. „Der wesentliche Knackpunkt bei der Rechnungsbearbeitung innerhalb der EU war vor allem das Speichern der Daten. Diese Herausforderung konnten wir aber meistern, indem wir dies auf die Kundenserver verlagerten. Dadurch behalten diese weiterhin die Hoheit über ihre Daten.“
EDI, XML und ZUGFeRD
Zu den unstrukturierten Daten gehören Formate wie PDFs, Word-Dokumente oder auch Bilddateien wie PNG und JPG. Die strukturierten Daten setzen sich aus Formaten wie EDI oder XML zusammen. Zu den hybriden Daten gehören schließlich ZUGFeRD und XRechnung. Insbesondere die unstrukturierten Daten stellen dabei wegen ihrer Uneinheitlichkeit ein besonderes Problem dar.
Hier half dem Team schließlich die KI-basierte OCR-Engine, die der Scanner auch für die Rechnungsinterpretation nutzt. Ulrich Winter: „Ohne die heutigen Machine-Learning-Modelle wäre die Vielfalt an Formaten kaum zu bewältigen gewesen – außer manuell. Mit der von uns entwickelten Engine, viel Zeit und Unmengen an Trainingsdaten konnten wir den Scanner aber schließlich so trainieren, dass er nun die Heterogenität der Formate problemlos bewältigt. Dadurch können wir Unternehmen nun guten Gewissens eine Lösung für das Invoicing anbieten, die auch zukünftig Bestand hat.“
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