Für Christian Klein ist es die Quadratur des Kreises. Er sollte sein heterogenes Publikum mit einer konsolidierten Story beglücken, aber zu verschieden sind die Interessen. Es ist ein Kompromiss zwischen Bestandskunden, Aktionären, Partnern und der Öffentlichkeit.
Der Aktionär ist meistens an einer Gewinnausschüttung und eventuell an einem Aktienrückkaufprogramm interessiert. Der Bestandskunde wünscht sich hohe Investitionen in Forschung und Produktentwicklung. Die Partner wollen auch etwas vom Kuchen bekommen und pochen auf Transparenz. Die Öffentlichkeit erwartet gesellschaftlich verantwortliches Handeln. Die Orchestrierung der unterschiedlichen Interessen obliegt dem Vorstand und Aufsichtsrat.
Eines der wichtigsten Elemente ist ein solides Narrativ. Gerne wird auch von „Purpose“ gesprochen – naturgemäß im positiven Sinn, nicht: Der Zweck heiligt die Mittel! Damit kommt das faktenbasierte Narrativ ins Spiel, denn ein Narrativ sollte nicht Selbstzweck sein, sondern Orientierung bieten. Die SAP-Community befindet sich in einer Conversion und jeder ist auf der Suche nach Referenzen und Proof-of- Concepts.
Naturgemäß benutzt der SAP-Vorstand zahlreiche Fakten für sein Narrativ. Was jedoch fehlt, ist ein konsolidiertes Bild, das alle Fakten berücksichtigt und verständlich kommuniziert wird. Im SAP-Universum gibt es aktuell mehrere Erzählstränge, die offensichtlich nicht zusammenpassen.
Bei den quartalsweisen Bilanzgesprächen schwärmt SAP-Finanzvorstand Luka Mucic von den wachsenden Cloud-Umsätzen, dem bevorstehenden Wachstum und den zu erwartenden Umsatzsteigerungen. Die Zahlen sind atemberaubend hoch, sodass offensichtlich wird: Dieser Erfolg kann nicht nur durch Neukunden zustande kommen. Somit mag vielleicht das Gerücht stimmen, dass für SAP-Bestandskunden das Cloud Computing wesentlich teurer kommt als On-prem.
SAP hat einen Excel-basierten TCO- Rechner für den Weg in die Cloud erstellt. Ein Beispiel zeigt, dass inklusive Investitionskosten plus einer fünfjährigen Laufzeit der On-prem-Betrieb mit eigenen Lizenzen im eigenen Rechenzentrum am teuersten wird. Begibt sich der SAP-Bestandskunde mit seinen Lizenzen zu einem Hyperscaler, kann es preiswerter werden. Naturgemäß an preiswertesten ist eine Cloud-Subscription bei SAP. In der SAP’schen Cloud soll es sich nicht nur sorgenfrei, sondern auch preiswerter leben lassen.
Offensichtlich steht der Betrachter hier vor einem Widerspruch: Luka Mucic will mit einer Cloud-First-Strategie den SAP-Umsatz weiter schnell steigern, während SAP-Chef Christian Klein seinen Bestandskunden vorrechnen lässt, dass die SAP’sche Cloud das preiswerteste Betriebsmodell ist. Hier also eine Umsatzverdoppelung, dort eine Kostenhalbierung. Der Cloud-TCO-Rechner für „Rise with SAP“ ist ein Versprechen an die Bestandskunden, sollten die Zahlen stimmen, stellt sich die Frage: Wie erreicht Luka Mucic seine Umsatzziele?
Die unabhängigen Lizenzexperten rechnen mit anderen Fakten und weil es sich am Ende des Tages diesmal nicht ausgehen kann, bietet ein SAP-Partner mittlerweile eine Lizenzversicherung gegen mögliche Misswirtschaft an. Die Zahl der Unterlizenzierungen könnte aufgrund einer Cloud-Conversion steigen und damit auch die Gefahr von Nachzahlungen – was wiederum logisch wäre, um die prognostizierten Umsatzsteigerungen von Luka Mucic erklären zu können. Irgendjemand wird die Zeche bezahlen, wenn SAP seine Umsatzzahlen deutlich und über dem Marktdurchschnitt steigern will.
Abgesehen vom TCO-Rechner „Rise with SAP“ schaut es demnach für SAP sehr gut aus: Entweder die Conversion in die Cloud (Full Use Equivalent) bringt eine höhere Subscription, als es in Summe die SAP-Lizenzen und Pflegegebühren waren, oder Luka Mucic kalkuliert mit dem Lock-in für die Bestandskunden. Es gibt bei SAP keine Cloud-Exit-Strategie!
Wer laut SAP-Plan den Weg „Rise with SAP“ akzeptiert, geht seiner On-prem-
Lizenzen verlustig – also gibt es keinen Weg mehr zurück. Ohne eigene Lizenzen ist der SAP-Bestandskunde aber auf Gedeih und Verderb der Willkür von SAP ausgeliefert. Kommt es zu einer Cloud-Vertragsverlängerung, muss der Kunde die Preistabelle von SAP akzeptieren. SAP-Finanzvorstand Mucic spricht natürlich nicht von der fehlenden Exit-Strategie, sondern nur von besser kalkulierbaren Umsätzen.
Jeder SAP-Bestandskunde mit eigenen Lizenzen kann die Wartung bei SAP kündigen und zu einem Drittanbieter gehen und dort das eigene SAP-System pflegen lassen. Aber ohne Lizenzen werden die Daten wertlos, denn Daten ohne dazugehörige Geschäftsprozesse sind Schrott. Somit gibt es mittlerweile auch SAP-Partner, die Daten archivieren als Businessobjekte, also Daten plus Algorithmen.
Niemand hat hier falsche Fakten aufgetischt, aber die Orchestrierung ist mangelhaft. Das Narrativ sollte somit weniger zum eigenen Vorteil gestaltet werden. Es gilt, was Helmut Markwort sagte: an die Leser denken. Somit die Aufforderung an Christian Klein und Luka Mucic: Fakten, Fakten, Fakten und an die SAP-Community denken. Das SAP’sche Narrativ sollte der Community Hilfe und Orientierung sein, sollte Transparenz und Vertrauen herstellen. Es gilt die Geschichte der SAP im Cloud-Zeitalter neu zu schreiben!