SAP’scher Kristallisationspunkt
SAP kippt
Viele SAP-Projekte im Konzern stehen auf der Kippe und ich kann mich über mangelnde Arbeit nicht beschweren. Natürlich ist SAP nicht immer der Initiator, aber viele Projekte werden aktuell bei uns auf den Prüfstand gestellt, weil sich wesentliche Rahmenbedingungen verändert haben. Was aber früher beim CIO durchgewinkt wurde, denn es ist SAP, wird aktuell besonders kritisch hinterfragt.
SAP-Chef Christian Klein hat bei uns im Konzern einen ambivalenten Eindruck hinterlassen: Im persönlichen Umgang ist er sehr höflich, zuvorkommend, bescheiden und ein sehr guter Zuhörer. Die Resultate und Auswirkungen seiner Arbeit hingegen sind unterdurchschnittlich. (Hier stand im Originalmanuskript ein anderes Wort, aber meine Frau ermahnte mich und meinte, dass ich einem so jungen Manager, auch wenn er CEO ist, mehr Toleranz entgegenbringen soll. Bitte.)
Ich will also die Arbeit von Christian Klein aus der Sicht eines der größten SAP-Bestandskunden nicht bewerten, sondern verweise lediglich auf den aktuellen Börsenkurs. Die SAP-Aktie bewegt sich seit Wochen seitwärts in einem Korridor zwischen 83 und 93 Euro. Vor nicht allzu langer Zeit sahen Analysten die Aktie bei 140 Euro und mehr. Mit diesem Börsenwert seiner SAP ist Professor Hasso Plattner sicher nicht zufrieden.
Die Herausforderung besteht für Christian Klein also darin, SAP wieder in Schwung zu bringen, SAP wieder faszinierend und begehrenswert zu machen, SAP wieder offen, agil und kommunikativ werden zu lassen. Wir setzen und vertrauen auf SAP, weil wir das Potenzial sehen – jenseits von Hana und S/4. Da kann noch vieles und Interessantes kommen, aber SAP muss sich anstrengen. SAP muss die Schockstarre überwinden. SAP darf nicht am Kristallisationspunkt einfrieren und erfrieren.
Woher die neue Energie kommt? Ein wichtiges Energiezentrum verlässt nun SAP. CFO Luka Mucic hat freiwillig, unfreiwillig abgedankt. Sein Nachfolger ist Dominik Asam von Airbus. Mein CFO sagt, dass dieser für SAP neue CFO eine hervorragende Wahl ist, aber auch für die übrigen sehr jungen SAP-Vorstandsmitglieder zur Gefahr werden kann. Dominik Asam wäre nicht der erste CFO, der sehr schnell zum CEO wird. Das launische Personalmanagement von Plattner ist hinlänglich bekannt und berüchtigt. Kommendes Jahr beginnt sein letztes Jahr als Aufsichtsratsvorsitzender und wir alle wissen, dass er ein gut bestelltes Haus hinterlassen will. Was fehlt, ist ein erfahrener Manager, der jung genug ist für den Vorstand und noch nicht auf den Sessel des Aufsichtsratsvorsitzenden schielt – hierfür wird sich Professor Hasso Plattner jemand anderen suchen müssen.
Keine Panik: An dem Kristallisationspunkt, wo SAP aktuell steht, haben vorher schon andere IT-Konzerne ihre Richtungsentscheidung sondiert. Microsoft ist es mit einer Öffnung in Richtung Open Source, Cloud und GitHub ganz hervorragend gelungen. Bei IBM war die Abkehr von der Hardware und Hinwendung zu Software und Cloud prinzipiell richtig, auch wenn das Management es noch nicht perfekt exekutiert. Was aus dem Oracle-Abenteuer mit der Software von Cerner für den Gesundheitsbereich werden soll, kann ich nicht einschätzen. Wir haben in diesem Bereich kein Engagement.
SAP-Chef Christian Klein ist in einer Polykrise angekommen. Die Aufräumarbeiten nach Bill McDermott liefen zu langsam. Nun brennt es bei SAP überall: Hana und S/4 kommen in Schwung, aber viel zu langsam. Aktienkurs und Deckungsbeitrag sinken, da helfen nur Preiserhöhungen. Noch weitere Reisekosteneinsparungen und organisatorische Optimierungen sind nach zwei Jahren Pandemie kaum mehr möglich. Es fehlt an qualifizierten Mitarbeitern, weil viele in Richtung Partner und Mitbewerber wie Celonis abgewandert sind. Ruhe und sichere Führungshand vom Aufsichtsrat sind aktuell auch nicht zu erwarten – Professor Plattner ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die aktivistischen deutschsprachigen Bestandskunden will Christian Klein auf dem DSAG-Jahreskongress in Leipzig auch nicht treffen. Was tun?