Pommerland ist abgebrannt
Natürlich kenne ich das Lied, sagt meine Frau ein wenig überrascht, weil es für sie eine Selbstverständlichkeit ist. Meine Oma hat es mir beigebracht: „Maikäfer, flieg. Der Vater ist im Krieg. Die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer, flieg.“
Nun ist die Cloud abgebrannt, zumindest ein Teil davon, und wie in den Medien zu lesen war, gingen zeitweise damit über drei Millionen Websites offline. Naturgemäß befeuerte dieser RZ-Großbrand auch die Cloud-Diskussion an unserem SAP-Stammtisch.
Einige meiner Kollegen waren extrem nervös. Jeder von uns am SAP-Stammtisch ist Herrscher über mehrere Rechenzentren. Von mir selbst als Head of CIO darf ich sogar behaupten, dass ich auf jedem Kontinent zumindest ein eigenes Rechenzentrum betreibe. Niemand von uns ist gegen eine solche Katastrophe vollkommen geschützt.
Für uns ist es schwer vorstellbar, dass es in einem modernen, dem neuesten Stand der Technik entsprechenden und ordnungsgemäß geführten RZ zu einem Vollbrand und Totalausfall kommen kann. Genauere Untersuchungen werden sicher die örtlichen Behörden und im Eigeninteresse auch OVHcloud durchführen.
Die Diskussion über Security, Datenschutz und -sicherheit, Cloud versus On-premises, Hyperscaler oder Eigenverantwortung hat neue Nahrung bekommen. Niemand an unserem Stammtisch ist der Meinung, dass er besseren Brandschutz und bessere Security-Konzepte als die Hyperscaler inklusive OVHcloud besitzt. Dennoch ist die Diskussion wichtig und auch ergebnisorientiert. Halbzeitergebnis: Small is beautiful.
Es war ein interessantes Gespräch vor vielen Jahren in St. Leon-Rot, dort im Industriepark, wo eines der großen SAP-Rechenzentren steht. Neben den Dieselaggregaten für die nachgelagerte Notstromversorgung diskutierten wir die Herausforderung Datensicherung. Einstieg in das Gespräch war die Feststellung, dass bei der 7-x-24-Dynamik und Big Data keine klassischen Sicherungsfenster existieren.
Als Auszubildender vor mehreren Jahrzehnten lernte ich, dass es einen RZ-Betrieb von 6.00 bis 22.00 Uhr gab. Dazwischen musste gesichert werden – schon damals eine große Herausforderung, weil die IBM-Bandlaufwerke ihre Zeit brauchen. Aber die Programmierer mit ihren Lochkarten waren auch nicht schneller.
Das Gespräch in St. Leon-Rot drehte sich demnach um ein optimales Datensicherungskonzept bei ununterbrochenem Betrieb mit extrem großen Datenmengen. Den Fakten geschuldet: Einige Daten werden eben nicht mehr gesichert. Ähnliches scheint auch bei OVHcloud passiert zu sein.
Erste Meldungen sprechen von unwiederbringlichem Datenverlust. Damit könnte nun aber der Diskurs über eine sichere Datenhaltung in der Cloud eine ganz neue Wende bekommen. Viele an unserem Stammtisch waren sich einig, dass eine Katastrophe im eigenen Bereich, mit eigener Versicherung, Mannschaft und Infrastruktur besser zu managen ist als die blinde Abhängigkeit von einem Hyperscaler, dessen Infrastruktur mehr im Nebel als in der Cloud liegt. Das Versprechen, die Daten bleiben DSGVO-konform in Europa, lässt sich nicht immer verifizieren.
In einem FAZ-Artikel schreibt Lotta Wieden sinngemäß über das Maikäfer-Lied: Bei Musik versus Text handelt es sich um eine Dissonanz von fast schizophrenem Ausmaß. Die Begeisterung, mit der uns SAP-Chef Christian Klein in seine oder die Cloud der Hyperscaler heben will, erscheint mir nahezu fanatisch.
Es gibt viele und gute Gründe für die Cloud, aber ebenso viele und überzeugende Argumente für On-premises. Solange mir Christian Klein keine umfassende Cloud-Exit-Strategie inklusive wartungsfreier SAP-Lizenzen sowie vollständigen Datenzugriff erklärt und garantiert, bleibe ich gegenüber den SAP’schen Cloud-Versprechen sehr skeptisch.
Pommerland kann überall abbrennen, auch bei uns oder bei SAP. Meine eigene Betriebsfeuerwehr ist jedenfalls für diesen Katastrophenfall mit den richtigen Löschmitteln ausgestattet, sodass die Serverhardware eine minimale Chance des Überlebens hat – wie die minimale Hoffnung, dass der Vater aus dem Krieg und die Mutter aus dem Pommerland zurückkommen.