Vor einem Jahr präsentierte der junge SAP-Chef Christian Klein Rise with SAP, rückblickend war es das klassische Eigentor. Mit einem ganzheitlichen Konzept wollte der SAP-Chef als Speerspitze voranstürmen und wurde nicht nur von der eigenen Mannschaft im Stich gelassen, sondern bekam auch von der Community viel Gegenwind.
Das vergangene Jahr hat deutlich gezeigt, wie isoliert Christian Klein an der Spitze von SAP steht. Pflichtgemäß haben seine Vorstandskollegen und Executives das Thema SurpRISE with SAP aufgegriffen, aber ein überzeugtes und engagiertes Eintreten und Befürworten sehen anders aus. Christian Klein wurde im Regen stehend alleingelassen, sodass aus einem „Codewort Angriff“ ein bedauerliches Rise and Fall with SAP wurde.
Ein Relaunch von Rise with SAP zur Jahresmitte des vergangenen Jahres fand kaum Beachtung. Das Thema war tot. Meine E-3 Interviewpartner im vergangenen Herbst waren sich einig: Ich durfte alles fragen, nur keine Antworten zum Thema Rise erwarten.
Einer meiner Informanten brachte es stellvertretend auf den Punkt: Ich weiß schlicht und einfach nicht, was ich mit diesem Thema anfangen soll – bitte keine Fragen zu Rise with SAP.
Es war allgemein bekannt, dass Christian Klein Anfang vergangenen Jahres mit dem Rücken zur Wand stand und Rise with SAP das Thema sein sollte, mit dem er sich kräftig von dieser Wand abstoßt und nach vorn stürmen wollte – ähnlich wie es auch das Manager Magazin jetzt formulierte: Codewort Angriff.
Aus diesem Angriff wurde für SAP ein Waterloo und das erkannte offensichtlich auch die Redaktion beim Manager Magazin und änderte im Onlineportal den Titel auf „Die Abwehrschlacht des SAP-Chefs“, was ziemlich genau dem aktuellen Zustand in Walldorf entspricht. Der Text selbst entspricht der Druckausgabe.
Aufsichtsrat und Vorstand der SAP haben sich zum Jahreswechsel eingeigelt. Seit Wochen dringen keine Botschaften nach außen. Offiziell wird die Sprachlosigkeit mit der Hektik des Jahresendgeschäfts und den Vorbereitungen auf Fkom (das SAP’sche Field Kick-off Meeting heißt nun Custommer Success Summit) argumentiert. Tatsache ist aber, dass SAP keine Antworten, kein Narrativ auf die Angriffe von Salesforce, Workday, ServiceNow, Oracle, Snowflake, UiPath und Celonis hat.
Fast glücklich kann sich Christian Klein fühlen, wenn ihn die genannten Unternehmen noch als Herausforderung ansehen. UiPath-Gründer Daniel Dines nimmt SAP nicht einmal mehr als Mitbewerber wahr, sondern attestiert dem ERP-Weltmarktführer bestenfalls eine hinreichend notwendige Backoffice-Funktion als ERP-Datenbank.
Christian Klein steht nicht mehr mit dem Rücken zur Wand, sondern kurz vor dem Abgrund, der immer näher kommt. Es ist somit, wie das Manager Magazin richtig schreibt, ein Rennen gegen die Zeit – ein Kampf gegen die Eruption. Es besteht die Gefahr, dass durch die Mitbewerber dem ERP-Marktführer der Boden unter den Füßen entzogen wird. Warum?
Christian Klein war zu Beginn seiner Amtszeit mit zahlreichen Altlasten, Konflikten und Baustellen konfrontiert – und er hat die richtige Entscheidung getroffen: Er hat seinen Bestandskunden zugehört und gelernt, wo die größten Probleme liegen. Diese Herausforderungen hat er sehr diszipliniert, konsequent und auch erfolgreich angenommen und bis heute zum Großteil hinreichend gut gelöst.
Was er übersehen hat: Während seines emsigen Arbeitens in Walldorf, seines Dirigierens der eigenen Mannschaft, seines Tüftelns und Diskutierens mit den Bestandskunden hat ihn der Mitbewerb links und rechts überholt. SAP war zu 100 Prozent auf die eigenen Problemlösungen – Reparaturdienstverhalten – fokussiert, sodass niemand die umgebende Marktdynamik wahrnahm. Auch etwas selbstgefällig war SAP: Wir lösen unsere Probleme, was kümmert uns die Konkurrenz?
Jetzt beginnt ein Kampf gegen die Zeit. Christian Klein ist in einer Abwehrschlacht und das Vorstandsmitglied Julia White, zuständig für das Marketing, verharrt stumm. Die Imagepflegerin getraut sich nicht aus der Deckung.
Bisheriger Höhepunkt ihrer Vorstandskarriere war ein Videointerview mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Professor Hasso Plattner zur Sapphire 2021.
Bereits für vergangenen Herbst erwarteten viele SAP-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter einen verifizierten und fundamentalen Marketingplan und eine nachhaltige Kommunikationsstrategie – um eventuell auch Rise with SAP wieder neues Leben einzuhauchen. Aber die Ex-Microsoft-Managerin und nun Vorstandsmitglied bei SAP blieb bis heute stumm.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch intern hoffen viele SAP-Executives, dass es sich noch irgendwie ausgeht. Aber bald feiert S/4 sein zehnjähriges Bestehen – in der schnelllebigen IT eine Ewigkeit, siehe auch Kommentar von Johannes Szalachy auf Seite 18 dieser Ausgabe. Laut Plan sollen die letzten SAP-Bestandskunden 2030 auf S/4 migriert haben, dann ist diese ERP-Technik 15 Jahre alt. Ob SAP einen S/4-Nachfolger hat oder plant, ist nicht bekannt. Hier wird mit der Zukunft der Bestandskunden gespielt – verantwortungsbewusstes Handeln schaut anders aus!