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Konsolidierung auf großer Fahrt

Hymer hat sich für die Ablösung ihres ERP-Systems durch SAP S/4 Hana entschieden. Das Unternehmen hatte bereits ERP/ECC 6.0 FI/CO im Einsatz.
Herbert Kösler, Hymer
Gerhard Seiler, Hymer
David Reibnegger, Consilio
28. Januar 2021
Hymer AntBRY 24 02 20 1926 Druck (300 Dpi)
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In einem ersten Schritt wurde das ERP/ECC-6.0-System auf Hana und S/4 konvertiert und dann das Non-SAP-ERP-System auf S/4 Hana migriert. Herausforderungen für SAP-Partner Consilio lagen da­rin, die in der Vertriebsabwicklung hoch konfigurierbaren Aufträge im Rahmen der Planung effizient zu managen, die im PLM bestehenden Produkte für die Planung und Produktion zu modellieren und die Stammdaten zu überführen.

Die hohe Fertigungstiefe von der Herstellung von Holz-, Metall- und Stoffteilen über Küchen- und Wohninneneinrichtungsfertigung bis hin zur Fahrzeugmontage sowie der Teilebeschaffung und Teilebereitstellung inklusive eines integrierten Qualitätsmanagements mussten zu einer S/4-Hana-Lösung migriert werden. Im Bereich der Produktentwicklung nutzt Hymer ein externes PLM, das an S/4 angebunden ist.

Die Fahrzeuge sind in SAP als konfigurierbare Materialien modelliert mit bis zu acht Stücklistenstufen aufgrund der hohen Tiefe im Bereich der Fertigung von Küchen und Wohnraummöbeln. Kundenaufträge werden über ein ­Dealerportal und das Vehicle-Management-System mit der Stückzahl eins erfasst und produziert.

Konsolidierung auf großer fahrt
Zum einen sollen die Kontingente auf Fahrzeugtypebene ausgeben werden, gegen die der Vertrieb Kundenaufträge bestätigen kann. Zum anderen benötigt die Produktion einen Kapazitätsplan, um die vorgegebenen Absatzmengen auf Machbarkeit hinsichtlich der Ressourcen zu prüfen.

Um in den Fertigungsbereichen das Fertigungsauftragsvolumen noch in einem bewältigbaren Bereich zu behalten, hat Con­silio auf Basis der merkmalsbasierten Planung in SAP S/4 Hana (Cha­racteristics- Dependent Planning – CDP) die Produk­tionsplanung für Hymer kon­zipiert und umgesetzt.

Über CDP können Bedarfe mit gleichen Eigenschaften auch ohne die Anlage zusätzlicher Materialstammdaten zusammen geplant und gefertigt werden, d. h., es ist keine klassische Kundeneinzelfertigung notwendig, sondern lässt eine zusammengefasste Produktion zu.

Dennoch ist jederzeit ein Bezug zu den Fahrzeugen über die gesamte Produktionskette möglich, um eine stundengenaue Bereitstellung von Teilen zu ermöglichen. Im Bereich Fahrzeugmontage mussten die Montagebänder mit einer Taktterminierung in S/4 abgebildet werden.

Stammdaten und Konfiguration

Die Stammdatenstruktur spiegelt die hohe Komplexität aus dem Bereich Automotive bei Hymer wider. Durch die hohe Eigenfertigungstiefe sind hier auch entsprechend hohe Stammdatenvolumen mit mehreren Tausend Objekten je Fahrzeugtyp notwendig. Diese sind zum Teil in der Low-Level-Konfiguration mit Beziehungswissen wie Prozeduren, Auswahlbedingungen oder Klassenknoten, z. B. zur Teileersetzung, ausgestattet. Die Stammdaten durchlaufen verschiedene Q-Gates und werden damit von allen Fachbereichen überprüft und freigegeben.

Die Produktstruktur, Materialstammdaten und Dokumente werden per Schnittstelle aus dem externen PLM-System übergeben. Die Engineering Bill of Material (EBOM) wird bereits in der Konstruktion fertigungsgerecht aufgebaut und als Manufacturing Bill of Material (MBOM) bereitgestellt. Strukturelle Änderungen werden dabei per EC (Änderungsantrag) in der Konstruktion eingearbeitet und per Schnittstelle automatisch übergeben.

Die Materialstammdaten zum Produktdatenmanagement (PDM-Struktur) werden regelbasierend und per Workflow-Tool im SAP mit Werksbezug detailliert und vervollständigt. Im Rahmen der Workflow-Bearbeitung werden Klassifizierungsdaten, Dispositions- und Planungsparameter eingestellt, wie auch Arbeitspläne und Fertigungsversionen erstellt.

Mit dem Materialstatus ist der Reifegrad der Stammdaten für die Planung ersichtlich. Er steuert die Integration der Stammdaten für das S/4 Hana embedded PP/DS (ePP/DS), die Produktionsfeinplanung und Optimierungslösung von SAP. Die Integration in das ePP/DS sieht unter S/4 vor, dass zu den Materialstamm­daten auch die Klassifizierung mit Klassen, Merkmalen, Beziehungswissen etc. als eigenständige Objek­te zu integrieren sind.

Die Konfigurationsbewertung wird aus dem Kundenauftrag in die Fertigungs­stufen vererbt. In den untergeordneten Fertigungsstufen erfolgt dann der Wechsel von der Kundeneinzelfertigung (CDP-KDE) zur CDP-anonymen Fertigung.

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Für die Absatz-Produktionsprogrammplanung und Kontingentierung wurde auf Basis von Fiori eine S&OP-Lösung konzipiert und implementiert, auf deren Basis der Vertrieb seine Absatzplanung erfassen und an die Produktionsplanung übergeben kann.

Characteristics-Dependent Planning

Die Merkmalsabhängige Planung (CDP) kann eingesetzt werden, um die Eigenfertigung für Produkte über Merkmale zu planen. Die Produkte sind im S/4-System konfigurierbar, d. h., es können auftragsabhängig Produkteigenschaften wie Farbe, Möbeldekor, Polsterstoff etc. ausgewählt werden, ohne dass für diese Kombination ein eigener Materialstamm angelegt werden muss. In S/4 können Plan- bzw. Fertigungsaufträge zu diesen Produkten ebenfalls konfiguriert werden.

Bei der Planung wird die Konfiguration berücksichtigt und Bedarfe mit den passenden Zugängen (Produktionsaufträge, Bestellungen, Bestellanforderungen, Chargenbestände) verrechnet. Im ePP/DS sind CDP-anonym die Konfigurationsbewertung und das Kundeneinzelsegment am Auftrag verfügbar, im ERP aber nicht mehr. Hier wird die Konfiguration an die Chargenklassifizierung übergeben.

Das folgende Beispiel soll dies praktisch erklären: Im S/4 werden mehrere unterschiedliche Kundenaufträge für Fahrzeuge erfasst. Einige Kundenaufträge haben das Merkmal Möbeldekor identisch mit dem Wert Ahorn bewertet, andere Merkmale jedoch unterschiedlich. In S/4 wird zur Fertigung der Holzteile ein gemeinsamer Plan- und Fertigungsauftrag erzeugt und gefertigt (Losfertigung).

Trotz der Zusammenfassung ist der Bezug zu den Fahrzeugkundenaufträgen jederzeit über die Bedarfe/Pegging gegeben. Aufgrund dieser Zusammenfassung der Bedarfe trotz konfigurierbarer Produkte konnte das Fertigungsauftragsvolumen von über 40.000 pro Tag auf unter 5000 reduziert werden, ohne dass hierfür Materialstämme, wie bei einer Lagerfertigung notwendig, angelegt werden müssen.

Für die Absatz-Produktionsprogrammplanung und Kontingentierung wurde auf Basis von Fiori eine S&OP-Lösung konzipiert und implementiert, auf deren Basis der Vertrieb seine Absatzplanung erfassen und an die Produktionsplanung übergeben kann. Im Bereich Produktionsplanung können die Mengen geplant und Kapazitäten auf Basis von S/4 ePP/DS in einer Planversion losgelöst von der operativen Planung ermittelt und simuliert werden. Auf Basis der Produktionsplanung werden dem Vertrieb Kontingente für Fahrzeuge zur Belegung zur Verfügung gestellt.

Die S&OP-Lösung wurde nach EHG-Vorgaben (Erwin-Hymer-Group-Vorgaben) eigenentwickelt. Dazu wurde die neue Benutzeroberfläche Fiori verwendet. Eine besondere Herausforderung war hierbei, die bestehenden prozessualen Anforderungen in eine integrierte und auch global verwendbare, skalierbare Lösung abzubilden. Auch deshalb fiel die Entscheidung letztendlich auf SAP Fiori.

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Grundsätzlich galt es, zwei Ziele zu erfüllen. Zum einen sollte das Tool am Ende Kontingente auf Fahrzeugtypebene ausgeben, gegen die der Vertrieb Kundenaufträge bestätigen kann. Zum anderen benötigt die Produktion einen groben Kapazitätsplan, um die vom Vertrieb vorgegebenen Absatzmengen auf Machbarkeit hinsichtlich zur Verfügung stehender Mitarbeiter und Produktionskapazitäten zu prüfen. Beide Ziele sollten vollintegriert verfolgt werden, das heißt, beispielsweise sollten für die Kapazitätsplanung die im System hinterlegten Schichtmodelle berücksichtigt werden.

Vollintegriert bedeutet ebenfalls, dass dem Planungstool Echtzeit-Daten aus dem Back-End-System zur Verfügung stehen. So benötigt beispielsweise der Vertrieb zur Ermittlung seiner gewünschten Absatzzahlen die Anzahl der bereits angelegten Kundenaufträge. Gleichzeitig muss die Produktion in ihrer Planung die bereits angelegten Plan- und Fertigungsaufträge berücksichtigen. Beide Kennzahlen werden in Echtzeit aus dem S/4 und dem embedded PP/DS gelesen.

Zudem musste eine Möglichkeit der Dis- bzw. Aggregation bereitgestellt werden, da die verschiedenen Bereiche ihre Mengen in unterschiedlichen Detailierungsgraden planen. Beispielsweise muss für die Kapazitätsplanung die Menge pro Fahrzeugtyp und Band bekannt sein. Die Kontingentierung dagegen erfolgt auf der Ebene Typfamilie, die mehrere einzelne Typen verbindet.

Letztendlich konnte durch die SAP-Fiori-Lösung die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen vereinfacht und verbessert werden. Damit wurde eine global verwendbare Lösung im S/4 geschaffen, welche die Transparenz der Sales und Operations in Verbindung mit machbaren Produktionskapazitäten erhöht, sodass davon abhängige strategische Entscheidungen ge­zielt getroffen werden können.

Fazit: SAP-Standard-Lösung

Im Bereich der Beschaffung werden ebenfalls Bedarfe aus unterschiedlichen Fahrzeugen zu einem Los zusammengefasst, beschafft und fahrzeugbezogen bereitgestellt. Über die unterschiedlichen Planungsmechanismen ist stets ein eindeutiger Bezug zum produzierten Fahrzeug und zur Kundenwunschkonfiguration möglich. Die integrierte Planung mit embedded PP/DS ermöglicht eine termingerechte und losbezogene Beschaffung der benötigten Materialien. Gerade bei aufbaurelevanten Materialien, welche für die Produktion am Band essenziell sind, ist eine zeitgerechte Beschaffung und Bereitstellung an den Bändern unerlässlich.

Ein integriertes Monitoring und Alerting ermöglicht die schnelle Reaktion bei Verspätungen oder Lieferengpässen. Als Fazit kann festgestellt werden, dass die Consilio mit dem embedded PP/DS im S/4 und der merkmalsbasierten Planung eine SAP-Standard-Lösung konzipiert und implementiert hat, die es Hymer ermöglicht, die Produktionsplanung und Auftragsabwicklung effizient im Tagesgeschäft durchzuführen. Im Rahmen der Implementierung mussten einige Kinderkrankheiten des embedded PP/DS überwunden werden.

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Qualitätsmanagement und Integration

Die Qualitätsinformationen aus der Produktion werden im System zum Fahrzeug durch Prüfungen und Q-Meldungen nachgehalten. Werden im Fertigungsablauf Fehler an Komponenten bzw. bei Baugruppen erkannt, werden diese per Nachforderung zum Fahrzeug erfasst. Die Nachforderungen werden bei Hymer durch eine S/4-integrierte Lösung mit direkter Integration in die Produktion und Logistik ermöglicht. Damit können auch Teile aus den Vormontage- und Vorfertigungsbereichen kurzfristig gezielt bereitgestellt werden, ohne Unterdeckungen zu riskieren.

Hymer-Reiseerlebnis inklusive S/4

Die Erwin Hymer Group ist eine 100-prozentige Tochtergesellschaft von Thor Industries, dem weltweit führenden Hersteller von Freizeitfahrzeugen mit über 22.000 Mitarbeitern. Die Erwin Hymer Group vereint Hersteller von Reisemobilen und Caravans, Zubehörspezialisten sowie Miet- und Finanzierungsservices unter einem Dach. Zur Erwin Hymer Group gehören die Reisemobil- und Caravanmarken Buccaneer, Bürstner, Carado, Crosscamp, Compass, Dethleffs, Elddis, Eriba, Etrusco, Hymer, Niesmann+Bischoff, Laika, LMC, Sunlight und Xplore, die Reisemobilvermietungen McRent und rent easy, der Fahrwerkspezialist Goldschmitt, der Zubehörspezialist Movera sowie das Reiseportal freeontour. Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.erwinhymergroup.com

Logistik und Integration

Mit S/4 Warehouse Management werden die Teile gelagert, kommissioniert und über die Produktionsversorgungsschnittstelle in der Fertigung und am Montageband stundengenau bereitgestellt. Dabei ist eine zeitgenaue Bereitstellung der benötigten Materialien für die Produktion der Fahrzeuge am Band erforderlich. Unterschiedliche Produktionsstufen der Vorfertigung und Vormontage produzieren die Materialien losbezogen für die kundenindividuellen Fahrzeuge. Die Logistik stellt die produzierten und direkt angelieferten Materialien von Lieferanten ohne vorherige Einlagerung direkt am Band bereit. Dabei erfolgt eine losbezogene Bündelung der benötigten Komponenten mit Bildung von Kommissionierwägen aus dem S/4 Warehouse Management. Für die effiziente Abwicklung der internen Logistik ist eine gut abgestimmte und integrierte Lösung mit direkter Integration in die Produktionslogistik ausschlaggebend.

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Herbert Kösler, Hymer

Leiter SAP-Projekt bei Hymer


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Gerhard Seiler, Hymer

Leiter Auftragszentrum bei Hymer


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David Reibnegger, Consilio

David Reibnegger ist Consulting Manager bei Consilio IT-Solutions.


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Die Arbeit an der SAP-Basis ist entscheidend für die erfolgreiche S/4-Conversion. 

Damit bekommt das sogenannte Competence Center bei den SAP-Bestandskunden strategische Bedeutung. Unhabhängig vom Betriebsmodell eines S/4 Hana sind Themen wie Automatisierung, Monitoring, Security, Application Lifecycle Management und Datenmanagement die Basis für den operativen S/4-Betrieb.

Zum zweiten Mal bereits veranstaltet das E3-Magazin in Salzburg einen Summit für die SAP-Community, um sich über alle Aspekte der S/4-Hana-Basisarbeit umfassend zu informieren. Alle Informationen zum Event finden Sie hier:

SAP Competence Center Summit 2024

Veranstaltungsort

Eventraum, FourSide Hotel Salzburg,
Am Messezentrum 2,
A-5020 Salzburg

Veranstaltungsdatum

5. und 6. Juni 2024

Reguläres Ticket:

€ 590 exkl. USt.

Veranstaltungsort

Eventraum, Hotel Hilton Heidelberg,
Kurfürstenanlage 1,
69115 Heidelberg

Veranstaltungsdatum

28. und 29. Februar 2024

Tickets

Regular Ticket
EUR 590 exkl. USt
Veranstalter ist das E3-Magazin des Verlags B4Bmedia.net AG. Die Vorträge werden von einer Ausstellung ausgewählter SAP-Partner begleitet. Der Ticketpreis beinhaltet den Besuch aller Vorträge des Steampunk und BTP Summit 2024, den Besuch des Ausstellungsbereichs, die Teilnahme an der Abendveranstaltung sowie die Verpflegung während des offiziellen Programms. Das Vortragsprogramm und die Liste der Aussteller und Sponsoren (SAP-Partner) wird zeitnah auf dieser Website veröffentlicht.