Kann SAP Kündigung?
Wer zahlt?
Ich bin langjähriger SAP-Bestandskunde und somit betrafen mich alle vorangegangenen und die aktuelle Kündigungswelle, weil ich das Chaos bei SAP mit meinen Lizenzgebühren finanziere. Letztendlich haben wir die vergoldeten Abfindungen erstklassiger Mitarbeiter finanziert. Als SAP noch großzügige Abfertigungspakete schnürte, meldeten sich in weiser Voraussicht die Besten, und davon viel zu viele. Zu einer schönen Abfindung nach zwei Dritteln des Arbeitslebens sagt niemand Nein, wenn die eigene SAP-Kompetenz für ein interessantes Leben als selbstständiger Berater reicht. CFO Luka Mucic musste bei dieser Kündigungswelle vor einigen Jahren ein Sondervermögen herbeizaubern, weil mehr Mitarbeiter als geplant sich für den goldenen Abschied entschieden. Wer zahlt? Wir, die SAP-Bestandskunden.
Dieses Jahr scheint die Kündigung von geplanten 3000 Mitarbeitern nicht mehr so großzügig abzulaufen, und die Kommunikation und Umsetzung laufen vollkommen aus dem Ruder. Die Mehrkosten werden wieder wir Bestandskunden tragen müssen. Offensichtlich kann SAP Kündigung nicht – warum aber? Mit Sabine Bendiek gibt es ein zuständiges Vorstandsmitglied für HCM-Aufgaben. CEO Christian Klein überbrachte aber persönlich im Rahmen der Bilanzpressekonferenz die schlechte Nachricht, während er eine Woche davor in Davos auf dem Weltwirtschaftsgipfel noch vom sagenhaften Erfolg seiner SAP schwärmte und eine Kündigungswelle, wie sie andere IT-Unternehmen zu dieser Zeit bereits umsetzten, noch nicht sah. Eine Woche später war alles anders und nicht Personalvorständin Bendiek erklärte die vertrackte Situation, sondern Klein persönlich, nur flankiert von CFO Luka Mucic.
An unserem SAP-Stammtisch haben wir versucht, die Situation zu verstehen: Es gab die CRM-Initiative C/4 Hana, mit der der ERP-Weltmarktführer sogar Salesforce überholen wollte, und Professor Hasso Plattner lobte ausdrücklich das C/4-Projekt. Zusammen mit Qualtrics sollte C/4 eine CRM-Revolution werden und Salesforce zeigen, wo der Hammer hängt! Nun hat Christian Klein die CRM-Ambitionen und 3000 Mitarbeiter gekündigt. Über die Freisetzung von IT-Personal bei den großen Anbietern gibt es seit der Reduzierung der Mitarbeiterzahl bei Twitter um 50 Prozent durch Elon Musk natürlich geteilte Meinungen. Wahrscheinlich haben sich viele IT-Hersteller in den vergangenen Jahren zu Exzessen und Innovationen hinreißen lassen, die betriebswirtschaftlich nicht immer argumentierbar waren.
Die SAP-Community und unser Verein DSAG sind sich einig, dass die geplante Stärkung des SAP-ERP-Geschäfts, respektive des ERP-Kerns, ein positives Signal ist. Passt die SAP-Strategie von Christian Klein aber noch, wenn wesentliche IT-Prozesse des CRM nicht mehr in der gleichen Geschwindigkeit entwickelt werden wie das ERP? Was bedeutet es für den Lead-to-Cash-Prozess, der zu den Kernprozessen gezählt wird, wenn wesentliche Komponenten aus dem Customer-Experience-Portfolio, inklusive Qualtrics, an Priorität verlieren?
Im CRM/Qualtrics-Bereich Mitarbeiter inklusive Applikationen zu kündigen erscheint mir unüberlegt, wenn gleichzeitig bei uns der SAP-Vertrieb anklopft und IoT anbietet für eine Integration in das ERP inklusive Digital Twin. Die Themen Industrie 4.0, IoT und Digital Twin sind für uns wichtig und spannend, nur sehen das meine Stammtischschwestern und -brüder eben nicht als Kernkompetenz von SAP. Hier scheint jedoch Christian Klein Gefallen an den innovativen Themen gefunden zu haben und investiert munter drauflos, wie ein Bericht im E-3 Magazin Februar aus diesem Jahr eindrucksvoll bezeugt. Auch dieses Investment in Zukunftsthemen wie Digital Twin müssen wir SAP-Bestandskunden bezahlen. SAP sollte das eigene Portfolio an den Rändern bereinigen, aber nicht im Herzen von ERP, CRM, SCM und MES.
Wahrscheinlich ist ein Reinemachen im SAP-Konzern nach den stürmischen Jahren eines Ex-SAP-CEO Bill McDermott dringend notwendig. Ebenso will sich Christian Klein in eine starke Ausgangsposition bringen, bevor der neue SAP-CFO Dominik Asam den verdienten Luka Mucic ablöst. Aber mein SAP- Stammtisch ist sich einig: SAP kann Kündigung nicht – hier haben Christian Klein, Luka Mucic und Sabine Bendiek versagt.