Interoperabilität, Kartellamt und „indirekte“ Nutzung: Exklusivinterview mit DSAG-Vorstand Andreas Oczko
Gottfried Welz, E-3: Gibt es schon Rückmeldung von den SAP-Bestandskunden bezüglich des im April präsentierten Lizenzmodells zur indirekten Nutzung?
Andreas Oczko, DSAG: Die DSAG hat eine Umfrage zum Thema Lizenzmodell und indirekte Nutzung durchgeführt. Das Feedback von 220 Kunden war wichtig. Wobei wir die Antworten in dieser oder ähnlichen Form erwartet hatten.
Ein Ergebnis war, dass Anwender dieses Lizenzmodell sehr wohl wahrnehmen. Gewisse Ambivalenzen wurden jedoch deutlich. Es ist demnach für Kunden schwierig, wie viele Dokumente genau nach dem Modell als Bemessungsgrundlage für eine Lizenzierung oder indirekte Nutzung herangezogen beziehungsweise gezählt werden.
Noch schwieriger stellt sich momentan dar, wie das Modell bei komplexen Geschäftsprozessen oder Systemlandschaften angewendet werden soll. Auch beim Thema IoT und indirekte Nutzung sind für Anwender nach wie vor einige Punkte unklar oder unscharf.
Andererseits hat SAP kommuniziert, dass dieses Modell nicht den Anspruch hat, alle Probleme in Sachen indirekte Nutzung zu lösen. Ich denke, dass das nächste Jahr eine Reihe von Unklarheiten beseitigt.
Welz: Wie bestimmen die Bestandskunden momentan die Kosten für die neue indirekte Nutzung? SAP will passende Vermessungswerkzeuge erst 2019 vorstellen.
Oczko: Es gibt Stand heute sehr einfache Werkzeuge – eher Checklisten –, die man implementieren respektive nutzen kann. Wenn es gut läuft, erhält man Dokumenten-Relevanzen. Ansonsten ist man angehalten zu schätzen. Und zu bewerten: Okay, das passt für mich, oder eben nein, es passt nicht.
Auditierungsroutinen oder Vermessungswerkzeuge sind momentan noch nicht verfügbar. Auch für ältere Releases gibt es diese in Form von Support-Packages wohl erst im nächsten Jahr. Das heißt, es wird sicherlich noch einige Zeit vergehen, ehe es Tools gibt und Kunden diese verwenden können.
Welz: Was ist die Meinung der DSAG, wird es mit dem neuen Lizenzmodell bezüglich indirekter Nutzung teurer oder preiswerter?
Oczko: Es kann für einige Kunden preiswerter werden – aber auch teurer. Es kann für einige Kunden auch unbezahlbar werden. Das neue Lizenzmodell sollte man als eine Option betrachten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Welz: Wie steht die DSAG zu der juristischen Meinung, dass aufgrund des EU-Urheberrechts eine kostenpflichtige, indirekte Nutzung im Widerspruch zur Interoperabilität steht? Unterliegt hier SAP einem Irrtum?
Oczko: Interoperabilität bedeutet an und für sich keine indirekte Nutzung. Aber: Nicht jedes Zusammenwirken von Systemen bedeutet Interoperabilität. Werden etwa von einem Lagerhaltungssystem in ein SAP-System Bestände überstellt, dann liegt keine indirekte Nutzung vor.
Nimmt aber ein eingesetztes Salesforce eine Sales Order entgegen, überführt sie wiederum in SAP, bearbeitet sie dort und ruft von Salesforce aus SAP-Funktionen im ERP auf, dann ist das selbstverständlich eine lizenzpflichtige indirekte Nutzung, die mit Interoperabilität nichts zu tun hat.
Welz: Was ist die Meinung der DSAG zum Lizenzgutachten der Voice e. V., das beim Bundeskartellamt in Bonn eingereicht wurde? Aktuell ist über diesen Vorgang nichts bekannt, kennt man bei der DSAG den Status beim Bundeskartellamt?
Oczko: Aktuelles oder Neues ist mir nicht bekannt. Aber ich erlaube mir die Frage: Wann glaubt denn die Voice, eine rechtsverbindliche Antwort zu bekommen oder konkret zu erhalten? Das wird mindestens zehn Jahre dauern.
Ein Unternehmen kann aber auf eine Entscheidung keine zehn Jahre warten. Für die jetzige indirekte Nutzung hilft die Voice-Initiative nicht weiter. Die DSAG wurde vor der Einreichung beim Bundeskartellamt miteinbezogen, und es fand ein Meinungsaustausch mit Voice statt.
Die Vereinigung hat sich für den Klageweg entschieden. Wir arbeiten gemeinsam mit SAP an einer Problemlösung und sind nach wie vor in intensiven Gesprächen mit SAP.
Welz: Logischerweise sind die Produkte von SAP-Unternehmen wie Ariba, Concur, SuccessFactors, Fieldglass und Hybris von der indirekten Nutzung ausgenommen. Warum unterliegt im neuen SAP-Lizenzmodell aber die SAP Hana Cloud Platform dem Indirect/Digital Access und damit der lizenzpflichtigen indirekten Nutzung? Behindert SAP dadurch nicht auch eine intensive Nutzung der SCP durch ihre Bestandskunden?
Oczko: Die SAP-Vorgehensweise hier ist nicht nachvollziehbar und kontraproduktiv. Das haben wir gegenüber der SAP artikuliert. Auch was die Abap-Nutzung via SCP anbelangt, gibt es Klärungs- und Lösungsbedarf. Denn: Warum sollen Anwender für Abap-Entwicklungen bezahlen, die nicht mehr über eine lizenzierte On-premise-Workbench laufen, sondern via SCP?
Welz: Welche Ideen und Handlungen wird es noch von der DSAG geben, um das Thema indirekte Nutzung zu entschärfen – und damit unter Umständen auch nicht die digitale Transformation zu blockieren?
Oczko: Wie gesagt, die Gespräche laufen. Und wir lassen nicht nach. Es gab einen letzten großen Workshop Anfang September, bei dem auch ein SAP-Vorstand mit dabei war. Es gibt im November einen Workshop zum Thema Interoperabilität. Auch haben wir einen Spin-off zu dazugehörenden Themen gestartet.
Zum Beispiel zum Thema License Audit. Wir sehen als Stimme der Anwender beim Thema indirekte Nutzung eine hohe Dringlichkeit und wollen den Druck hier auf die SAP keinesfalls abschwächen.
Welz: Wird die DSAG neben technischen und organisatorischen Konzepten den Mitgliedern auch juristische Hilfe im Konfliktfall rund um die indirekte Nutzung anbieten?
Oczko: Natürlich können wir hier keine Rechtsberatung leisten. Wir kooperieren aber zum Thema mit Juristen. Um eine juristische Einschätzung zu bekommen und auch Sicherheit in den Gesprächen mit SAP. Ergebnisse und die Bewertungen von Juristen stellen wir unseren Mitgliedern zur Verfügung.
Welz: Was ist die Meinung der DSAG zum Global License Audit and Compliance, GLAC, der SAP?
Oczko: Was vielleicht nicht so geläufig ist: Durch unser Wirken wurde GLAC realisiert. Soweit uns bekannt, funktioniert GLAC. Eben die Trennung von Funktionen oder Themen. Auch die ASUG, die amerikanische Anwendervereinigung, bestätigt dies.
Welz: Danke für das Gespräch.
SAP Global License Audit and Compliance (GLAC)
Im April dieses Jahres präsentierte SAP ein neues Lizenzmodell, mit dem Ziel, ein wenig Klarheit in die selbst erfundene „indirekte Nutzung“ zu bringen. Der einfachste Weg wäre naturgemäß, das EU-Urheberrecht mit der Definition der „Interoperabilität“ anzuerkennen.
Aber dann würden SAP viele Millionen an Lizenznachzahlungen entgehen! Somit gibt es ein neues Modell und das wohlwollende Vorhaben, zukünftig „Streitigkeit“ mit den Bestandskunden professionell zu lösen.
Dazu veröffentlichte SAP folgende Stellungnahme:
„Klare Trennung zwischen Lizenzvertrieb sowie Audit und Compliance: SAP führt außerdem neue Regeln bei Organisation und Governance ein, die eine strikte Trennung zwischen Vertriebsorganisation und -prozessen und der Auditorganisation und deren Prozessen vorsehen.
Bis heute kommt es immer wieder zu Differenzen zwischen Kunden und SAP, wie ältere Vertragswerke hinsichtlich der neuen digitalen Anforderungen zu interpretieren sind. Dies wirkt sich teilweise negativ auf parallel verlaufende Gespräche zur Neuanschaffung von Software aus.
Die organisatorischen Änderungen auf SAP-Seite erlauben nun die Trennung dieser Sachverhalte und ermöglichen unabhängige Diskussionen. Das erleichtert Kunden und Mitarbeitern aus dem SAP-Vertrieb die Zusammenarbeit.“
Nun gibt es nach Meinung der SAP die dazu passende Organisation: das GLAC-Team (Global License Audit and Compliance). Und einen „Path of Appeal“ (juristisch: Berufungsweg) soll es auch schon geben.
Alle Details dazu hat E-3 Autor Florian Ascherl, Director Risk Advisory bei Deloitte und Leiter des globalen SAP-Lizenz-Kompetenz-Centers, zusammengefasst.