Filiale im Zentrum der Logistik


Über 1.700 Einzelhandelsfilialen, die jeden zweiten Tag beliefert werden, ein Höchstdurchsatz von 800.000 Lieferpositionen am Tag auf einer Logistikfläche von 80.000 Quadratmetern und 1,5 Millionen Webshop-Bestellungen jährlich – die logistischen Anforderungen von Ernsting’s Family sind schon allein quantitativ enorm.
Dazu kommen qualitative Erwartungen an Flexibilität, Effizienz, Leistung und Anwenderfreundlichkeit. Das SAP EWM liefert dem Textilunternehmen eine Warehouse-Management-Lösung, die all diese Anforderungen bewältigt und sich optimal in die bestehende SAP-Landschaft einfügt.
Die logistischen Abläufe in den Vertriebscentern, dem Regionalcenter und innerhalb des Transportnetzwerks orientieren sich an den Anforderungen der Filialen.
Diese vereinen jeweils sehr viele unterschiedliche Artikel auf einer geringen Verkaufsfläche. Je Artikelvariante ist aber nur eine kleine Anzahl vor Ort verfügbar.
Zudem muss zwischen Push- und Pull-Produkten unterschieden werden. Täglich führt das Unternehmen durchschnittlich 40 neue Styles ein (Push), zudem müssen die Abverkäufe und vor allem die NOS-Artikel (Never Out of Stock) kurzfristig nachgeliefert werden (Pull).
Ernsting’s Family stellt sich diesen Anforderungen, indem jede Filiale jeden zweiten Tag beliefert wird.
Ohne umfangreiches Retourenhandling
Zu der eng getakteten Filialbelieferung gesellt sich noch die Abwicklung des seit 2003 betriebenen Onlineshops. 1,5 Millionen Bestellungen jährlich gehen derzeit bei Ernsting’s Family ein und werden entweder per KEP-Dienstleister direkt zum Endkunden oder in die nächstgelegene Filiale geliefert.
Auch Retouren können auf diesem unkomplizierten Weg direkt in der Filiale aufgegeben werden. Der Textilhändler verfolgt hier eine Multi-Channel-Strategie, wie sie im Buche steht – der Kunde entscheidet sich für den unkompliziertesten Weg und Ernsting’s Family kann sein Augenmerk auf die reibungslose logistische Abwicklung legen.
Denn ein umfangreiches Retourenhandling, wie es im E-Commerce-Markt eigentlich kaum zu vermeiden ist, bleibt für Ernsting’s Family weitestgehend aus: Der Großteil der Kunden bringt die Retoure direkt in die Filiale, wo sie umgehend mit dem lokalen Bestand verbucht wird.
Einheitliche SAP-Landschaft
Über die dafür notwendigen vielschichtigen und hoch performanten Prozesse wacht seit Anfang 2013 das Warehouse Management System SAP EWM. Die Entscheidung für eine neue IT-Steuerung war bereits im Jahr 2011 gefallen.
Für Ernsting’s Family zeigten sich zum ersten Mal die Grenzen des bestehenden Systems, und das Bedürfnis nach einer durchgängigen SAP-Landschaft wuchs – bis dato war die Logistik der einzige noch nicht von SAP gesteuerte Unternehmensbereich.
Zu den Zielen der Softwareumstellung gehörte die Schaffung einer integrativen Systemlandschaft in allen Unternehmensbereichen. Gepaart mit dem SAP EWM als neuem IT-System konnte die Leistungsfähigkeit weiter gesteigert und wachsende Durchsatzzahlen erreicht werden.
Auch das Thema Multi-Channel durfte nicht hintanstehen. Mit SAP EWM wurde ein System gefunden, das die diversen Anforderungen der unterschiedlichen Vertriebskanäle optimal bewältigen kann und die Filial- sowie Endkundenbelieferung parallel abwickelt.
Konzeption und Implementierung wurde in einem dreistufigen Projektverlauf vom Logistiksoftwarespezialisten Inconso durchgeführt.
Im April 2012 konnte die Realisierung der Systemumstellung beginnen. Der Initialfokus lag auf dem Standort Klieken. In der ersten Stufe wurde das automatische Kartonlager an das SAP EWM angebunden.
Auf vier Gassen werden hier je drei oder vier Kartons pro Tablar gelagert. Damit verbunden ist eine Karton-Fördertechnik-Vorzone mit sechs Arbeitsplätzen.
Zudem wurden der Wareneingang und der Nachschub für NOS-Ware an beiden Standorten übernommen. Diese Prozesse konnten bereits im Januar 2013 in Betrieb gehen.
Im Juli des gleichen Jahres folgten in der zweiten Stufe die restlichen Prozesse in Klieken. So wurden der Wareneingang und die Auszeichnung für Modeware sowie sämtliche Kommissionierprozesse für Modeware, Nachlieferung und NOS-Ware für circa 850 Filialen umgestellt.
Auch das automatische, teilweise doppelttiefe Palettenlager wird seitdem vom SAP EWM gesteuert. Hier werden Paletten, Rollcontainer und Leergut gelagert. Die Ver- und Entheiratung von Rollcontainern und Slavepaletten geschieht entweder manuell oder halb automatisch.
Wareneingang und Auszeichnung entkoppelt
Sowohl in Klieken als auch in Lette wird der Wareneingangs- getrennt vom Auszeichnungsprozess behandelt. Das heißt, die vereinnahmte Modeware wird zunächst in Originalkartons auf Paletten ins Hochregallager eingelagert, ohne die Artikelanzahl zu erfassen.
Die Qualitätsprüfung wird allerdings bereits mit diesem Schritt durchgeführt. Erst danach wird die Ware für die Kommissionierung vorbereitet, sie wird vereinzelt und auf Rollcontainer umgepackt, die tatsächliche Menge wird erfasst und anschließend wieder eingelagert.
Diese Entkopplung von Wareneingang und Auszeichnung wirkt sich positiv auf die Prozesseffizienz der Logistik aus. Nachdem Waren nur selten zu dem Termin angeliefert werden, zu dem sie ausgeliefert werden sollen, kann Ernsting’s Family so Leerlaufzeiten in den Lagerbereichen vermeiden. Zudem ist eine flexible und kurzfristige Umplanung der Warensteuerung möglich.
In der dritten Projektstufe wurde im Januar 2014 auch der Standort Lette analog zum Standort Klieken mit SAP EWM in Betrieb genommen. Zusätzlich wurden der Wareneingang und der Nachschub für das Direktkundengeschäft über den Onlineshop integriert sowie das automatische Palettenlager angebunden.
Hier werden verteilt auf elf Gassen und 22.000 Palettenstellplätze täglich bis zu 2.500 Paletten oder Rollcontainer ein- und ausgelagert. Im Gegensatz zum Standort Klieken können Rollcontainer und Slavepaletten hier automatisch ver- und entheiratet werden.
Zusammenspiel von SAP ERP und EWM
Im Warenausgang müssen nicht nur die unterschiedlichen Lieferprozesse an die Filiale vorbereitet, sondern auch Umlagerungen zwischen den Standorten, Personalverkäufe und Retouren an die Lieferanten abgewickelt werden.
Bei der Filialbelieferung unterscheidet man zwischen der Erstverteilung der Mode (Push-Belieferung), der automatischen Nachlieferung von Mode und NOS-Ware, Lieferung von Verbrauchsmaterialien, spontanen Auslieferungen und Umlagerungen zwischen Filialen.
SAP ERP und EWM agieren dabei als unabhängige Systeme. Im ERP werden zunächst Aufteiler erstellt, in denen die Stückzahlen je Filiale festgelegt sowie Auslieferungen inkl. Lieferdatum erzeugt werden. Das EWM fasst anschließend diese einzelnen Aufteiler zu Gruppen zusammen und entwirft einen Stellvorschlag auf der Kommissionierfläche für ein Lieferdatum.
Auslagerung des Nachschubs in drei Wellen
Die Kommissionierbelege werden parallel zur Auslagerung des Nachschubs in drei Wellen gedruckt. In der ersten Welle wird je ein Rollcontainer pro Artikelvariante auf der Kommissionierfläche platziert. Die zweite Welle bestimmt sich aus den Bedarfen für die Filialen der ersten Tour. Aufgerundet auf volle Rollcontainer werden auch diese je Artikelvariante im Kommissionierbereich angeordnet. In der dritten Welle finden sich die Artikel für die zweite Tour. Anhand des gedruckten Belegs wird anschließend kommissioniert. Die Warenausgangsbuchung erfolgt im Hintergrund und nach dem tatsächlichen Versand bzw. maximal einem Tag vor dem offiziellen Lieferdatum.
Bei der automatischen Nachlieferung erstellt das ERP-System abhängig von den Abverkäufen der Filialen die notwendigen Auslieferungen (Pull-Prinzip). Dabei werden pro Meldung an das SAP EWM nur Filialen der Tour berücksichtigt, die am folgenden Tag kommissioniert werden können. Das SAP EWM legt anschließend die Kommissionierreihenfolge fest und berechnet die notwendigen Rundfahrten für die ersten 50 Filialen. Je nach notwendigem Volumen für die Filialen wird dann per Multi-order-picking oder filialrein per MDE kommissioniert.