Eine gute Idee nach der anderen
Bevor ich meine monatliche Kolumne schrieb, musste ich am Frühstückstisch meinen Ärger kundtun. Meine liebenswerte Frau meinte nur: „Gib doch Christian Klein eine Chance, er ist noch jung und muss sich auch erst seine Hörner abstoßen.“ Meine Antwort: „Ja, natürlich gönne ich ihm seine grüne Spielwiese – Greenfield und Rise –, aber bitte nicht auf Kosten der Bestandskunden.“
Im Manager Magazin März ist somit auch zu lesen: „Der fleißige und sympathische Herr Klein hat, wie er selbst sagt, seine Hausaufgaben bei der Integration erledigt und die Zufriedenheit der Kunden auf Rekordwert gesteigert – plus zehn Punkte beim Net Promoter Score. Doch grundsolide reicht nicht, nirgendwo und schon gar nicht in der Softwarewelt, die von der Imagination des Morgen lebt.“ Die digitale Transformation, Asap, Run Simple, Conversion oder Rise sind notwendiges Reparaturdienstverhalten für die an die Wand gefahrene Hana- und S/4-Stratgie.
Achtung, es folgt Copy-and-paste: Was wird aus den AnyDB-Lizenzen nach 2025? Wie ersetzt man große Oracle- und DB2-Datenbanken durch die In-memory-Computing-Technik der Hana-Plattform? Wahrscheinlich interessiert das keinen Journalisten und keinen Analysten mehr, auch unsere DSAG ist bei diesem Thema sehr schweigsam – aber für uns Bestandskunden ist die Antwort überlebenswichtig: lizenztechnisch und organisatorisch.
Vor über einem Jahr hat SAP-Technikvorstand Jürgen Müller uns eine Lösung für AnyDB versprochen – passiert ist nichts! SAP schweigt zur AnyDB-Conversion, kauft aber weiter neue Unternehmen zu. Jetzt sollen die SAP-Bestandskunden die Aris-Tapeten durch bunte Schaubilder von Signavio ersetzen.
Was früher Business Process Reengineering hieß, wird heute Business Process Mining/Intelligence genannt. Aber Signavio ist nur ein weiterer Etikettenschwindel: Es gibt seit 25 Jahren hervorragende Werkzeuge, um „Process Mining“ nachhaltig durchzuführen – anders hätten die vielen Tausend SAP-Bestandskunden auch nicht überlebt.
Das mit SAP verbundene HPI-Spin-off Signavio, in dessen Beirat Ex-SAP-Chef Léo Apotheker sitzt, gilt im Geschäftsfeld der Prozessoptimierer allerdings als nachrangiger Spieler, schreibt das Manager Magazin in der März-Ausgabe. Es erwirtschaftet nur wenig Umsatz bei hohen Verlusten. Führend ist der Münchner Konkurrent Celonis, der Pionier der Kategorie jedoch blockte alle Kaufanfragen ab – auch die von SAP, berichtet das Manager Magazin.
Celonis steht aber seit vielen Jahren auf der SAP’schen PKL, ob das so bleiben kann und wird, konnten oder wollten meine Freunde in Walldorf nicht sagen. Das Manager Magazin analysiert demnach knallhart: „Mit dem Freemium-Angebot Business Process Intelligence will SAP mehr Kunden in ein S/4-Abo locken und so den Umstieg auf das Cloudgeschäftsmodell weiter vorantreiben.“
Für mich ist Rise auch ganzheitlich ein Etikettenschwindel, der von den wahren Problemen ablenken soll. Nachdem Christian Klein der amerikanischen Anwendervereinigung Asug ein Exklusivinterview gegeben hat, das diese schamlos zur Mitgliederwerbung nutzte, lobt Asug das SAP’sche Rise in den Himmel.
Letztendlich ist aber auch Rise nur ein IT-Werkzeug wie Asap, Run Simple oder Conversion. Irgendwie muss der Releasewechsel gelingen und hier lassen sich die jungen SAP-Vorstände Christian Klein, Jürgen Müller und Thomas Saueressig immer wieder etwas Neues einfallen: eine gute Idee nach der anderen, oder?
Von der geliebten DSAG erwarte ich in Zukunft nicht viel: Der neue Vorstand muss sich erst finden und der DSAG-Jahreskongress wurde schon wieder abgesagt. Meine Hoffnung beruht auf den Ex-Microsoft-Executives: nachhaltige Kommunikation durch die neue Marketingvorständin Julia White. Und Innovation, Visionen und Strategie durch Personalvorständin und COO Sabine Bendiek – oder wie sie das Manager Magazin bezeichnete: als SAP-Feuerwehrfrau!
Microsoft hat den Kultur- und Technologiewandel hervorragend bewältigt, sodass die beiden Managerinnen vielleicht auch bei SAP eine Chance sehen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Andernfalls könnte unsere SAP ein ähnliches Schicksal wie IBM ereilen: Groß genug zum Überleben, aber ohne jede Hoffnung auf Erfolg, denn Hana und S/4 werden den ERP-Weltmarktführer nicht retten.