Ein Orakel für SAP
Christian Klein hat seine SAP in einen sicheren Hafen gebracht. Der Aktienkurs ist zufriedenstellend und die Bestandskunden besänftigt. Die Mitarbeiter sind nicht übermäßig demotiviert und einige Partner sind überraschend optimistisch. Was fehlt, ist ein Plan, wie es weitergehen soll.
SAP-Chef Christian Klein wirkt tiefenentspannt. Er fährt mit der Bahn zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos und lässt sich dort vom angeheuerten und gesponserten Chefredakteur des Handelsblatts interviewen. Alles ist gut und alles ist unter Kontrolle. Auch während der Bühnenauftritte zur Sapphire in Orlando und Barcelona sahen die Bestandskunden und Partner einen gut gelaunten und selbstsicheren Christian Klein.
Damit auch niemand dieses Idyll störte, waren auf der Sapphire in Barcelona nur drei Journalisten aus Deutschland anwesend, ein versierter Redakteur von der Wirtschaftswoche und zwei Fachredakteure – keine allzu große Herausforderung für Kleins Presseteam. Auch die diesjährige SAP-Hauptversammlung verlief erfolgreich und ohne Eskalationen: Professor Plattner bekam für sich selbst, sein Team aus Aufsichtsrat und Vorstand sowie für seine Anträge eine sehr breite Unterstützung durch die Aktionäre. Alle Beteiligten waren mit sich selbst sehr zufrieden.
Es gibt aktuell nur eine Person, die die SAP’sche Idylle stört: Larry Ellison. Wieder einmal hat der OracleChef gezeigt, dass es noch besser geht. Durch kluge Entscheidungen überflügelte er SAP technisch, betriebswirtschaftlich und mit dem eigenen Aktienkurs. Hasso Plattner und Christian Klein machten in den vergangenen Monaten keinen schlechten Job, aber Larry Ellison war um ein Vielfaches besser.
Warum erscheint Oracle besser als SAP? Die Antwort ist simpel: Larry Ellison schaut in die Zukunft – anders gesagt: Der Oracle-Boss bemüht ein Orakel; während Plattner und Klein versuchen, das Erreichte zu bewahren. SAP-Chef Christian Klein befragt kein Orakel zur ERP-Zukunft, sondern versucht, seine SAP vor dem Kollaps zu bewahren – das ist lobenswert, aber nicht strategisch! Das Bemühen von Klein und seinen Vorstandskollegen kann in einem Satz zusammengefasst werden: Wir garantieren einen Support für S/4 Hana bis 2040, kein anderer IT-Anbieter verpflichtet sich ähnlich weitreichend.
Im Umkehrschluss bedeutet der S/4-Support bis 2040: Christian Klein, Thomas Saueressig und Jürgen Müller haben keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Es gibt keine Vision für einen S/4-Nachfolger. Die ERP-Strategie beruht allein auf Hana und S/4. Peinlich für Christian Klein ist der Umstand, dass seine Bestandskunden, die Community und der Anwenderverein DSAG schon wesentlich weiter sind. Eine im Juni stattgefundene Diskussion zeigte unter anderem das Potenzial der Business Technology Platform (BTP) und des daraus resultierenden Embedded Abap, auch genannt Steampunk. Einige Experten sind sich sicher, dass BTP und Steampunk die SAP-Basis für einen Nach- und Nachnachfolger von S/4 sein müssen.
2024 wird alles besser, wenn Punit Renjen den Aufsichtsratsvorsitz von Professor Hasso Plattner übernimmt. Gleichzeitig laufen 2024 viele Aufsichtsratsmandate aus, sodass Punit Renjen die Chance besitzt, sich ein neues, innovatives Team zusammenzustellen. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende wäre gut beraten, wenn er es ähnlich wie Jim Hagemann Snabe bei Siemens macht. Der ehemalige SAP-Co-CEO Snabe lässt seine Aufsichtsräte ein Mal pro Jahr von einer externen Personalberatungsagentur evaluieren. Bei Siemens gibt es Aufsichtsratsposten nicht aufgrund freundschaftlicher Beziehungen, sondern ausschließlich nach einem strengen Leistungskatalog.
Die alternative Aufsichtsratskultur eines Jim Hagemann Snabe ist vielleicht ein Grund, warum er nach seinem Ausscheiden aus dem SAP-Vorstand niemals daran dachte, bei Professor Hasso Plattner wieder anzuheuern. Denn bis 2024 gilt im SAP-Aufsichtsrat noch ausschließlich die Stimme von Plattner. Wer sich seiner Zuneigung, wie SAP-Technikvorstand Jürgen Müller, sicher sein kann, darf auf ein ungestörtes Arbeitsleben hoffen. Für eine erfolgreiche SAP-Zukunft braucht Punit Renjen einen agilen, innovativen Aufsichtsrat. Er braucht Personen, die mit Kompetenz, konstruktiver Kritik und scharfem Verstand ihrer Aufsichtspflicht nachkommen und gleichzeitig mit Erfahrung und Visionen die richtigen Ratschläge einem runderneuerten Vorstand offen und transparent vermitteln.
Wer das Orakel befragt, wird erfahren, dass SAP ein gewaltiges Potenzial besitzt, dass die SAP-Zukunft ähnlich erfolgreich werden kann, wie Larry Ellison es aktuell vorlebt. Um dieses Potenzial aber zu aktivieren, benötigt SAP unter Punit Renjen einen Aufsichtsrat ähnlich dem Ex-SAP-Kollegen Snabe und definitiv einen visionären und mutigen Vorstand, der seine Arbeit nicht nur im Administrieren des ERP-Weltmarktführers sieht. Die zurückliegenden SAP-Innovationen wie Hana und S/4 werden nur noch technisch verwaltet. Das Customizing reduziert sich auf einen Cloud-Computing-Diskurs. Einen Mehrwert für die SAP-Bestandskunden liefert momentan weder Aufsichtsrat noch Vorstand.