Danke, ich hab schon
Als Personalberater steht man daher manchmal staunend vor den Fehlern, die sich Unternehmen im Recruiting leisten. Ein schönes Beispiel: Ein Bewerber, nennen wir ihn Martin P., entspricht hinsichtlich Erfahrung, Spezialisierungen und Soft Skills voll und ganz dem Anforderungsprofil für eine offene Stelle als SAP-Berater.
Er hat sich über das Unternehmen informiert, geht also bestens vorbereitet ins Vorstellungsgespräch. Doch mit diesem Anspruch steht er allein da. Für SAP-Berater ist es elementar zu wissen, ob der zukünftige Job eine Reisetätigkeit verlangt.
Das sehen die beiden Unternehmensvertreter, die sich hintereinander jeweils ein Stündchen Zeit für P. nehmen, offensichtlich nicht so eng. Während der erste Interviewer die Frage von Martin P., ob in der Consulting-Position die Reisezeit als Arbeitszeit gilt und entsprechend abgerechnet werden darf, bejaht, schließt Nummer zwei dies aus.
Offenkundig hatten sich die fachlich Verantwortlichen nicht die Zeit genommen, sich über die Details der Reisekostenrichtlinien für die Stelle abzustimmen oder zu informieren. Sie haben sich nicht bewusst gemacht, dass ein umworbener Spezialist sich einen halben Tag Zeit genommen hat, um ihr Unternehmen kennenzulernen.
Martin P. ist mithin nach dem Gespräch nicht klüger. Es fehlt ein wichtiges Element der Entscheidungsgrundlage für einen Jobwechsel. Als der Personalberater über die Personalabteilung des Unternehmens abklären möchte, was nun die korrekte Aussage sei, kommt die Antwort, Reisetätigkeit werde zur Hälfte abgerechnet. Eine dritte Version! Martin P. winkt frustriert ab.
Der geschilderte Fall ist ein Einzelfall, aber durchaus exemplarisch. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass man sich über das Gehalt mündlich einigt, dieses im Vertragsentwurf dann aber um 10.000 Euro tiefer liegt – ohne jedwede Erklärung dazu.
Oder dass man einem Bewerber, der wegen chaotischer Zustände in seinem bisherigen Unternehmen eine neue Stelle sucht, auf seine Nachfrage hin keine Auskunft geben kann, wer sein zukünftiger Vorgesetzter wäre.
Oder es wird plötzlich bemängelt, dass der Berater kein Versicherungs-Branchen-Know-how mitbringt, nachdem das Unternehmen eine Woche vorher diesen Aspekt ganz bewusst bei der Jobausschreibung beiseitegelassen hat. Selbst auf Nachfrage des Personalberaters, ob Versicherungs-Know-how erforderlich ist, hatte das Unternehmen dies vor dem Gespräch ausdrücklich verneint.
Der klassische Fehler von Unternehmensseite in Bewerbungsgesprächen ist schlichtweg eine unterkühlte Atmosphäre. Bei hoch qualifizierten IT-Beratern ist das Rennen um Talente oft schon verloren, wenn jemand meint, vom hohen Ross herab Standardfragen zu stellen: „Wo wollen Sie in fünf Jahren sein?“
Tatsächlich fahren im Arbeitsmarkt für hoch qualifizierte IT-Profis mehr Arbeitgeber als Bewerber einen Bewerbungsprozess an die Wand. Warum gibt es so ein hohes Bewusstsein für das richtige Verhalten von Bewerbern und unter den Unternehmensvertretern so viele, die den Kandidaten und den Bewerbungsprozess nicht ernst genug nehmen?
Willkommenskultur
Professionelles Recruiting ist vielschichtig und sollte schon aus Respekt vor dem Gegenüber ernsthaft betrieben werden. An Instrumenten, Tools und Techniken in den Unternehmen zur Mitarbeiterfindung fehlt es nicht.
Den Grundstock muss die Personalabteilung bieten. Sie sollte eine Willkommenskultur im Unternehmen herstellen und vermeiden, dass unangenehme Online-Verfahren oder fehlende Kontaktdaten auf den Webseiten das begehrte Personal abschrecken.
Doch das kleine Einmaleins des Einstellungs-Knigge, das auch die Entscheider in den Fachabteilungen beherrschen müssen, ist schlichtweg: Freundlichkeit, Fairness, Klarheit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und, ganz wichtig, Vorbereitung.
Das ist nicht viel verlangt und letztlich das Gleiche, was Unternehmen von den Kandidaten erwarten. Jedes Unternehmen sollte sein Recruiting von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand stellen. Unprofessionelle Bewerbungsverfahren schlagen sich in schlechten Bewertungen auf Bewerberportalen nieder, werden aber auch von Mund zu Mund in der Branche weitergegeben.
Und auch oder gerade Personalberater müssen sorgsam mit der Zeit ihrer Bewerber umgehen. Sie können sie nicht mit Gesprächen bei Firmen verschwenden, die am Ende des Prozesses unprofessionell agieren oder deren Vertragsangebote regelmäßig abgelehnt werden.
Stellenanzeigen auf der Webseite oder gar erfolgsbasierte Rekrutierungsaufträge an Personalberater, die sich als Testballons herausstellen, beschädigen das Vertrauen im Arbeitsmarkt und sorgen für schlechte Karten im „War for Talents“.
Ach ja, Martin P. hat seine Wunsch-Position noch gefunden – und zwar bei einem Unternehmen, das ihm als Bewerber auf Augenhöhe begegnet ist. Nach dem ersten Treffen ging es schnell. Die Chancen bei einem Elfmeter stehen für den Schützen letztlich eben immer noch gut. Das Tor ist groß genug. Man muss den Ball nur genau platzieren.