Biedermeier
Der DSAG-Jahreskongress war mehr als ein Zusammenkommen von Arbeitskreisen ergänzt um ein paar Vorträge und eine illustre Abendveranstaltung. Der Kongress war eine Zäsur im SAP-Jahreskalender. Während Sapphire und weitere SAP-Events interessante Optionen waren, war der DSAG-Kongress ein Pflichttermin – und manchmal ein reinigendes Gewitter. Es wurde auf offener Bühne, teils hinter verschlossenen Türen Klartext geredet.
Dieses Jahr fällt die Zäsur aus, die Bühne für einen Diskurs fehlt. Der Anwenderverein DSAG ist bemüht, eine Online-Alternative zu organisieren. Es wird ein ähnlicher Versuch, wie es SAP mit der Sapphire probiert hat. Das Scheitern liegt nicht in der Content-Transformation einer Präsenzveranstaltung ins Web, sondern in der Angst vor einem möglichen Kontrollverlust.
Das Biedermeier ist in die SAP-Community eingezogen: Bei den SAP- und DSAG-Verantwortlichen zeigen sich Gemütlichkeit, Häuslichkeit und Harmonie. SAP präsentierte Videokonserven. Lediglich am letzten Tag der Sapphire wagte man eine Livediskussion mit SAP-Chef Christian Klein. Naturgemäß war es chaotisch und unharmonisch! Dennoch: Bei allen Unzulänglichkeiten und Themenverfehlungen waren durchgehend Zustimmung und Lob zu vernehmen.
Warum? Weil dieser Webauftritt authentisch war. Keine Gemütlichkeit, Häuslichkeit und Harmonie, sondern ein offener, widersprüchlicher und lebendiger Diskurs. Dieser Mut zur offenen Bühne, wo auch etwas Unvorhergesehenes passieren darf, ist bei DSAG und SAP verloren gegangen. Es war schon einmal bunter, lauter und lebendiger.
Nicht nur das Social Distancing hat Schuld an der Entfremdung zwischen der Basis der SAP-Community und der Executive-Ebene bei DSAG und SAP. Zu viele Entscheidungen wurden in der Vergangenheit hinter verschlossen Türen gefällt und damit ohne das breite Meinungsspektrum und die Vielfalt der SAP-Community.
Die gemeinsam von DSAG und SAP erarbeitete ERP/ECC-6.0-Wartungsverlängerung war gut und richtig – aber unvollständig. DSAG und SAP gingen gemeinsam mit dem errungenen Kompromiss an die Öffentlichkeit, ohne Antworten auf das Thema NetWeaver und AnyDB zu präsentieren.
Während in einer SAP-Service-Note später die NetWeaver-Roadmap hinreichend dargelegt wurde – auch das E-3 Magazin hat den Inhalt dieser Service-Note veröffentlicht –, blieb SAP eine Antwort auf AnyDB schuldig. In einer Anfrage an SAP-Vorstandsmitglied Jürgen Müller meinte dieser im Februar dieses Jahres, zeitnah eine Antwort liefern zu wollen – geschehen ist nichts. Diese Gemütlichkeit, Häuslichkeit und Harmonie haben die SAP-Bestandskunden und viele SAP-Partner mittlerweile nicht mehr.
Noch ist es nicht so, dass die digitale Transformation ihre Kinder frisst. Fehlende Antworten und Konzepte gefährden aber das Unternehmen „S/4-Hana-Releasewechsel“. Hierzu braucht es eine offene Bühne, eine breite Kommunikationsplattform, um alle Ängste und Fragen zu beantworten. Videokonserven, produziert in der eigenen Häuslichkeit, und harmonische Eröffnungsvorträge mit Small Talk werden die Probleme der SAP-Bestandskunden nicht lösen.
Das E-3 Magazin steht für offenen und unverfälschten Diskurs. Viele SAP-Partner haben diese Kommunikationsplattform für den eigenen Erfolg gewählt. Raus aus dem Biedermeier kann gemeinsam gelingen. Mutig und engagiert sollten wir in der SAP-Community aufeinander zugehen.
Seit zwanzig Jahren pflege ich die vorbehaltlose Kommunikation und lebe immer noch. Ich freue mich auf ein Treffen in der virtuellen Welt, auf der E-3 Plattform ebenso, wie es in den vergangenen Jahren am DSAG-Jahreskongress war. Diese digitale Transformation kann gelingen, wenn das Gemeinsame mehr zählt als die Gemütlichkeit, Häuslichkeit und Harmonie.