3-Punkt-Ansatz: Mensch – Betriebswirtschaft – Informationstechnologie
Es ist nicht neu, dass man an die Einführung von IT-Systemen große Hoffnungen knüpft. Mit ERP-Systemen sollten zum Beispiel Prozesse harmonisiert, standardisiert und vereinfacht werden.
Gemessen an diesen Erwartungen sieht man sich im Alltag oft mit enttäuschenden Ergebnissen konfrontiert. Viele Fachabteilungen leiden darunter, dass das Prozess-Customizing nicht entlang der aktuellen Anforderungen weiterentwickelt wird.
Dabei stehen Unternehmen unter großem Druck, sich mit Prozess- und Produktinnovationen im Wettbewerb zu behaupten. In einem Prozess-Korsett, das vielleicht für die Anforderungen zum Einführungszeitpunkt passend war, ist dies häufig nur sehr schwer möglich. Beispiel gefällig?
SAP-Variantenkonfiguration
Viele Unternehmen, vor allem im Maschinen- und Anlagenbau, nutzen noch immer nicht die SAP-Funktion der Variantenkonfiguration. Sie verschenken damit das Potenzial einer mächtigen Funktionalität.
Es gäbe weitere Beispiele für verschenktes Potenzial in fast allen Bereichen der betrieblichen Wertschöpfungskette. Dort, wo die Fachabteilungen wettbewerbskritische Prozesse oder Funktionen nicht abgedeckt sehen, helfen sie sich dann mit Workarounds.
Das sind aufwändige Provisorien, oft auf Excel-Basis. Obwohl darin häufig viel Fachwissen und auch einige Finesse bei der Nutzung von Excel steckt, könnte man sich weitaus bessere, vor allem aber sicherere und effizientere Lösungen vorstellen. Man könnte Prozesse beschleunigen, einfacher machen und damit verbessern.
Wie verhalten sich Digital Natives?
Es scheint also, als sei etwas schiefgegangen in der Vergangenheit. Die genannten Probleme verschärfen sich in Zukunft, wenn die nachfolgende Generation in Führungspositionen strebt.
Die Digital Natives, also die Generation, für die IT-Systeme eine Selbstverständlichkeit im Alltag sind, werden grundsätzlich anders an dieses Thema herangehen als die Digital Immigrants, die im Laufe ihres Lebens in diese Technologie hineingewachsen sind.
Wenn also Systeme und Technologien ihre Potenziale in Unternehmen bislang bestenfalls mit Einschränkungen entfalten konnten, dann stellt sich die Frage nach den Ursachen und danach, was man verbessern kann.
Die Ursache liegt in einer zu starken Trennung von fachlich-betriebswirtschaftlich-organisatorischen, (informations)technologischen und sozialen Faktoren. Gebraucht wird eine interdisziplinäre Beratung, die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen in den Mittelpunkt stellt.
Am einfachsten lässt sich dieser Zusammenhang an dem Prozessgedanken erklären. In einem betriebswirtschaftlichen Prozess führt ein Mensch eine bestimmte fachliche Aufgabe aus und verwendet dazu häufig ein IT-System.
Nur wenn alle Komponenten optimal ineinander greifen, gelingt die Prozessoptimierung. Eine erfolgreiche Beratung setzt die Beherrschung der jeweiligen Technologie voraus.
Darüber hinaus ist jedoch ein hohes Maß an betriebswirtschaftlicher Expertise erforderlich. Es muss klar sein, in welchem fachlichen Kontext eine Lösung erarbeitet werden soll. Recht einfach lässt sich dies zum Beispiel an der Funktion der Verfügbarkeitsprüfung im Vertriebsprozess erläutern.
Je nachdem, ob es sich um eine Serien- oder eine Einzelfertigung, um ein Standard- oder ein kundenindividuelles Produkt handelt, wird die Ausgestaltung dieser Funktion fachlich und systemtechnisch völlig unterschiedlich sein.
Wiederum abhängig von Marktsituationen (national, international, Verkäufermarkt, Käufermarkt) wird sich die Funktion auch innerhalb des jeweiligen Szenarios noch einmal unterscheiden.
Hinzu kommt die Veränderungsdynamik. Aus Serienprodukten werden Serienprodukte mit kundenindividuellen Optionen. Umgekehrt streben viele Einzelfertiger nach einer Standardisierung ihrer Produkte.
Dadurch müsste sich in beiden Fällen die Abbildung des Prozesses in SAP ändern. Das findet aber in vielen Unternehmen nicht einmal ansatzweise statt. Bei der Einführung legt man unter großem Zeit- und Budgetdruck Prozesse fest, die oft nicht optimal sind.
Mensch und Betriebswirtschaft
So, wie eine IT-Lösung immer nur in einem bestimmten Fachkontext funktioniert, so funktionieren auch betriebswirtschaftliche Lösungen immer nur in einem bestimmten sozialen oder kulturellen Umfeld.
Es gibt Unternehmen, die stark zu formalisierten Genehmigungen neigen. Andere setzen auf eine Vertrauenskultur mit großer Autonomie für den einzelnen Mitarbeiter. Im einen Fall wird man Genehmigungen an Freigabeverfahren binden, während man im anderen Fall Verantwortung stärker delegiert.
Auch hier sind die Auswirkungen auf die betriebswirtschaftliche Lösung bei der Einrichtung systemseitiger Workflows und Genehmigungsverfahren gravierend.
Mensch und IT
Menschen unterscheiden sich heute sehr stark über ihre Grundeinstellung zur IT. Bereits oben haben wir die Gruppen der Digitial Natives und der Digital Immigrants erwähnt.
Je nachdem, zu welcher Gruppe ein Anwender zuzurechnen ist, wird er sich für unterschiedliche Systemlösungen, vor allem aber für unterschiedliche Benutzeroberflächen begeistern. Davon wird die Akzeptanz in entscheidendem Maße abhängen.
Schlüsselfaktor Mensch
Der Faktor Mensch ist aber noch in einem ganz anderen Zusammenhang entscheidend für die erfolgreiche Gestaltung von Prozessen und Systemen. Mit deren Einführung oder mit deren Änderung ändert sich häufig auch das gesamte Arbeitsumfeld.
Diese Veränderungen führen häufig zu Widerständen bei den Betroffenen. Veränderungen werden nur dann als positiv erlebt, wenn dadurch Leidensdruck gemildert wird.
Obwohl dieser Zusammenhang heute kaum noch ernsthaft bestritten wird und obwohl klar ist, dass der Kampf um Talente in Zukunft nicht mit finanziellen Anreizen (die sind selbstverständlich), sondern mit einem produktiven, sinnvollen und gleichzeitig angenehmen Arbeitsumfeld gewonnen werden kann, hat sich in der Kommunikation von Veränderungsprojekten (IT-Projekte sind immer als solche anzusehen) vergleichsweise wenig geändert.
Change Management und Projektkommunikation spielen häufig zu Projektbeginn eine gewisse Rolle. Von einer durchdachten, durchgängigen und nachhaltigen bidirektionalen Kommunikation sind viele Unternehmen aber weit entfernt.
3-Punkt-Ansatz
Berater sollten sich diese Zusammenhänge immer wieder bewusst machen und integrierend wirken. Sie sollten darauf hinarbeiten, dass eine wirkliche Kooperation zwischen den Fach- und IT-Abteilungen entsteht.
Wirkliche Kooperation geht über den Austausch von Konzepten hinaus. Es geht um ein gemeinsames Problemverständnis und ein gemeinsames Arbeiten an echten Lösungen. Es geht um interdisziplinäres Arbeiten. Mehr Beachtung braucht das Thema Kommunikation.
Viele Berater betrachten dies als eine Art Zusatzqualifikation, die aber jeder schon irgendwie mitbringt. Neue und innovative Kommunikationskonzepte sind aber für den Projekterfolg so wichtig, dass über dieses Thema völlig neu nachgedacht werden muss.
Pikon hat dafür den Begriff der 3-Punkt-Beratung geprägt und richtet sich strategisch auf diesen Ansatz aus. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass Technologien ihren wahren Nutzen nur entfalten können, wenn betriebswirtschaftliche, technologische und soziale Faktoren integriert betrachtet werden.
Im ersten Schritt wird in einer 360-Grad-Problemanalyse sichergestellt, dass über Hierarchieebenen und Funktionalbereiche hinweg ein gleiches, mindestens aber ein abgestimmtes Problemverständnis besteht.
Anschließend wird in einem interdisziplinären Team ein Mission Statement für das Projekt erarbeitet. Ein solches Team setzt sich aus Führungskräften, Projektmitarbeitern, IT-Spezialisten, Fachleuten aus den betroffenen Bereichen, externen Impulsgebern und Kommunikationsexperten zusammen.
Damit Fragen nach dem konkreten Sinn des Vorhabens beantwortet werden. Auf Basis dieser Überlegungen wird eine durchgängige Kommunikationskonzeption erstellt, die das Projekt begleitet und durchdringt (siehe Kasten).
Im 3-Punkt-Ansatz wird ein solches Kommunikationskonzept eng verzahnt mit den klassischen Projektphasen. Integraler Bestandteil der Kommunikation sind auch Events, Veranstaltungen und Workshops, die Fachleute, IT-Spezialisten in neuen Workshop-Formaten (z. B. Barcamp-Workshops) zusammenbringen, um den Austausch zwischen Fachseite und IT in Gang zu setzen.
Fazit
Zusammenfassend kann man feststellen, dass neue Technologien selbstverständlich Treiber für neue betriebswirtschaftliche Verfahren, manchmal sogar neue Geschäftsmodelle sind.
Die Potenziale werden aber tatsächlich nur gehoben, wenn eine echte Kooperation zwischen Fach- und IT-Bereichen in Gang gesetzt wird. Der Kommunikation kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Kommunikationskonzept zum 3-Punkt-Ansatz
Vier Elemente sind von größter Bedeutung:
- Widerstandsbearbeitung: Es geht darum, Widerstände zu erkennen, besser noch: zu antizipieren. Nur wer weiß, wo die Probleme der Betroffenen liegen, kann angemessen reagieren.
- Emotionale Kommunikation: Besonders in Deutschland ist es noch viel zu häufig so, dass Projektkommunikation sich auf Zahlen, Daten und Fakten be schränkt. Wer Menschen für die Projekte gewinnen will, muss auch emotio- nale Elemente in seine Kommunikation einbauen. Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern.
- Persönliche Kommunikation: Betroffene interessieren sich zuallererst für die ganz persönlichen Auswirkungen, die das Projekt hat. Diese Punkte müssen zuerst geklärt werden.
- Externer Impuls: Gute Kommunikation lebt immer von der richtigen Distanz. Kommunikatoren begleiten das Projekt und geben Impulse. Sie sind aber nicht gleichzeitig Projektleiter oder Auftraggeber.