Extended Maintenance ohne Aufpreis
DSAG-Umfrage: SAP-Healthcare-Strategie passt nicht zur Klinikrealität
Der DSAG-Arbeitskreis Healthcare hat diese Ankündigung zum Anlass genommen, den Status quo innerhalb der im Arbeitskreis vertretenen Krankenhäuser und Kliniken mittels einer Umfrage zu ermitteln. Im Zeitraum von 29. November bis 12. Dezember vergangenen Jahres haben 55 Teilnehmer des DSAG-Arbeitskreises Healthcare an der Umfrage teilgenommen. Mehr als zwei Drittel der Befragten sind für Krankenhäuser und Kliniken mit weniger als zehn Häusern im Verbund tätig. Knapp ein Drittel arbeitet für Krankenhäuser bzw. Kliniken mit mehr als zehn Häusern im Verbund. Insgesamt repräsentieren die Befragten Häuser mit 133.224 Betten.
80 Prozent Zustimmung
Auch ein knappes halbes Jahr nach der Ankündigung stehen Kliniken und Krankenhäuser vor einer ernst zu nehmenden Situation. So nutzen zwei Drittel der Befragten aktuell IS-H zur Patientenadministration und -abrechnung und bei 80 Prozent ist die Lösung das patientenführende System. „In vielen Kliniken und Krankenhäusern wird IS-H auch für weitere Zwecke verwendet, wie z. B. für die Abrechnung außerhalb von Krankenhäusern, zur Dokumentation oder zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur und für Datenmeldungen. Diese Häuser trifft die neue SAP-Strategie noch härter“, so Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen und Public Sector.
„Es ist unrealistisch, dass alle Häuser zwischen 2024 und 2030 auf Partnerlösungen migrieren können, die aktuell noch nicht entwickelt sind“
Hermann-Josef Haag,
Fachvorstand Personalwesen
und Public Sector, DSAG
Der Trend geht eindeutig zu mehr Integration, was die Abschaffung von IS-H doppelt problematisch macht. Eine Integrationsplattform muss heute mehr leisten als je zuvor, denn der Trend im Gesundheitswesen geht zu mehr Prozessen, Systemen und Daten. Interoperabilität zwischen den Systemen entsteht, wenn der zentrale Server die gängigen Standards, Protokolle und Profile für den Datenaustausch im Gesundheitswesen unterstützt. Stabilität und Hochverfügbarkeit der Integrationsplattform spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, da ein Ausfall der Lösung fatal wäre. Darüber hinaus tragen Funktionen zur Authentifizierung der Mitarbeitenden und zum kontrollierten Datenzugriff zur IT-Sicherheit bei.
Laut SAP sollen die bis dato in IS-H abgebildeten Funktionalitäten für Patientenadministration und -abrechnung künftig durch moderne Krankenhausinformationssysteme (KIS) verschiedener Hersteller abgedeckt werden. „Das ist vor dem Hintergrund, dass mehr als die Hälfte der Befragten i.s.h.med als führendes klinisches Informationssystem einsetzt, eine fatale Situation“, urteilt Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare. Entsprechend deutlich fällt die Forderung der DSAG aus: Häuser, die i.s.h.med einsetzen, brauchen schnellstmöglich Klarheit darüber, wie und wann Oracle-Cerner eine verbindliche Nachfolge zumindest mit den bestehenden Funktionen und einer Perspektive für Erweiterungen präsentiert.
„Die FHIR-Schnittstelle in der SAP Business Technology Platform wird weiterhin von SAP propagiert, aber uns als Anwender ist unklar, wie wir konkret damit verfahren sollen – und vor allem wissen wir nicht, ob dann die Gesundheitsdaten in der Cloud lägen“
Michael Pfeil,
Sprecher des Arbeitskreises Healthcare, DSAG
KIS-Funktionalität
13 Prozent der Befragten gaben an, dass die Ablösung bereits im Gange sei, weitere 13 Prozent hatten bereits vor der SAP-Ankündigung mit der Planung begonnen. 24 Prozent beschäftigen sich aufgrund der SAP-Ankündigung mit dem Thema. Die Hälfte hatte zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Ablösungspläne. Gefragt wurde auch nach dem Umfang der Eigenentwicklungen (Abap-Modifikationen) in den Bereichen IS-H und i.s.h.med. 64 Prozent schätzen diese als umfangreich ein, während
27 Prozent Eigenentwicklungen in mittlerem Umfang einsetzen und neun Prozent den Anteil ihrer Eigenentwicklungen als gering einschätzen.
„SAP will ihren Kunden nach eigenen Angaben mit dieser Strategie die Wahl ihres modularen Setups für die Patientenabrechnung und ihre klinischen Prozesse überlassen. Doch wir können nicht länger warten. SAP-Partner müssen uns endlich mitteilen, wie schnell sie uns eine vollständige Lösung für Patientenabrechnung und -administration, im besten Fall ergänzt um die notwendigen KIS-Funktionalitäten, realisieren können“
Tatjana Neitz-Kluge, stellvertretende Sprecherin des Arbeitskreises Healthcare, DSAG
Private vs. Public Cloud
Die Umfrage hat auch den Status quo hinsichtlich S/4 in den Krankenhäusern und Kliniken ermittelt. Vier Prozent der befragten Häuser haben S/4-On-prem (Private Cloud) im Einsatz und bei fünf Prozent läuft dafür ein Implementierungsprojekt. „Zwar planen immerhin 47 Prozent den Einsatz von S/4-On-prem, doch unentschieden sind mit 42 Prozent fast genauso viele. Die neue SAP-Healthcare-Strategie hat laufende S/4-Vor- und -Umsetzungsprojekte in vielen Häusern ins Wanken gebracht oder zunächst sogar komplett gestoppt“, weiß Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare. Dabei sei genau das fatal, denn es gehe noch mehr kostbare Zeit verloren für die vielen anstehenden Aufgaben.
Ein weiteres Thema der Umfrage war die grundsätzliche Einstellung zu Cloud-Anwendungen für S/4, Personal- und Patientenmanagement sowie für medizinisch-klinische Lösungen. Elf Prozent der Befragten schließen dies kategorisch aus, 62 Prozent halten den Einsatz von Cloud-Anwendungen für denkbar, aber nicht für Gesundheitsdaten und 24 Prozent für denkbar. Vier Prozent geben an, Cloud-Anwendungen gerne nutzen zu wollen. Ebenso wurde gefragt, ob es Einschränkungen für die Nutzung von Cloud-Diensten in den Einrichtungen gibt. Hier waren Mehrfachantworten möglich. 71 Prozent sehen einen rechtlichen Widerspruch zu Datenschutz und Datensicherheit bei der Speicherung von Patientendaten. 60 Prozent der Befragten geben an, mit Sicherheitsbedenken konfrontiert zu sein. 55 Prozent sprechen von Bedenken hinsichtlich der Verfügbarkeit.
FHIR-Schnittstelle
„Nur drei Krankenhäuser haben keinerlei Einschränkungen zum Betrieb von Cloud-Diensten angegeben. Das ist ein verschwindend geringer Teil“, ordnet Tatjana Neitz-Kluge ein. Relevant wird dieser Aspekt vor dem Hintergrund, dass SAP darauf verwiesen hat, über die bestehenden Schnittstellen (API) hinaus weitere unterschiedliche Möglichkeiten bieten zu wollen, um Krankenhausinformationssysteme, die zukünftig die bisherigen IS-H-Funktionalitäten abbilden sollen, in das S/4-Kernsystem zu integrieren. Zu diesen Optionen gehören die Foundation Services, eine Anbindung über die FHIR-Schnittstelle (Fast
Healthcare Interoperability Resources) in der Cloud. „Die FHIR-Schnittstelle in der SAP Business Technology Platform wird weiterhin von SAP propagiert, aber uns als Anwender ist unklar, wie wir konkret damit verfahren sollen – und vor allem wissen wir nicht, ob dann die Gesundheitsdaten in der Cloud lägen“, erläutert Michael Pfeil.
Das KHZG binde Ressourcen und übe einen erheblichen Druck auf alle Gesundheitseinrichtungen, Berater und Implementierungspartner aus. Gleichzeitig werde derzeit umfangreich in die jetzigen KIS investiert, was infrage zu stellen sei, wenn durch die Ankündigungen von SAP zu IS-H nun auch die Strategie des KIS-Systems überdacht werden muss. Das behindere S/4-Projekte zusätzlich. „Vor diesem Hintergrund überrascht es aus DSAG-Sicht nicht, dass nur neun Prozent der Befragten eine realistische Chance sehen, eine IS-H-Nachfolgelösung bis zum Wartungsende 2027 zu implementieren – natürlich vorausgesetzt, dass diese zeitgerecht zur Verfügung steht“, erläutert Tatjana Neitz-Kluge. 42 Prozent halten 2030 für realistisch. Fast die Hälfte der Befragten gibt bei dieser Frage „Sonstiges“ an und benennt Bedingungen wie eine rechtzeitig verfügbare Nachfolgelösung und kompetente Partner mit ausreichenden Ressourcen als Voraussetzungen, um eine IS-H-Nachfolgelösung tatsächlich bis 2030 zu implementieren.
Fazit: Mehr Zeit
Die herrschende Unklarheit sorgt für Verunsicherung. Aus Anwendersicht ist die Strategie von SAP im Healthcare-Bereich nicht nachvollziehbar und kritisch zu beurteilen. Kurz gefasst lautet eine zentrale Forderung der DSAG an SAP daher: mehr Zeit. SAP hat für die Software ERP Central Component, ECC, eine Mainstream-Wartungszusage bis zum 31. Dezember 2027 gegeben, an die sich eine kostenpflichtige optionale Extended-Wartung bis Ende 2030 anschließt. „Es ist unrealistisch, dass alle Häuser zwischen 2024 und 2030 auf Partnerlösungen migrieren können, die aktuell noch nicht entwickelt sind“, erläutert Hermann-Josef Haag und ergänzt: „Die potenziellen Partner und die IT-Abteilungen in den Häusern selbst haben nicht ausreichend Ressourcen, um alle Krankenhäuser zu bedienen.“ Entsprechend wäre ein erster wichtiger Schritt, dass SAP eine Extended Maintenance ohne Aufpreis anbietet.