Von Aachen an den Amazonas


Seit Januar 2015 nutzen zwei Vertriebsgesellschaften sowie ein Produktionsstandort in Ecuador und Peru das System. Alle werden vom SAP Center of Competence (CoC) in Aachen betreut.
Bei dem Rollout-Projekt waren vor allem das Know-how bei globalen Rollouts, die umfassende Expertise zu regionalen Anforderungen in Lateinamerika und insbesondere den brasilienspezifischen Besonderheiten in Verbindung mit der Lösung SAP Nota Fiscal Eletrônica (SAP NFE) gefragt.
Globaler Ansatz mit regionalen Anforderungen
Die Grünenthal Gruppe ist in insgesamt 32 Ländern mit Gesellschaften in Europa, Australien, Lateinamerika und den Vereinigten Staaten vertreten.
Das Pharmaunternehmen hat sich das Ziel gesetzt, ein zentrales SAP-ERP-System für alle Vertriebs- und Produktionsstandorte einzusetzen – auch in Süd- und Mittelamerika.
Mithilfe eines konzernweiten SAP-Systems will Grünenthal die Produktivität steigern, die Prozesskosten senken sowie ein einheitliches Reporting einführen und so auch alle Landesorganisationen weltweit vergleichbar machen.
Gleichzeitig sollen aber auch die lokalen Anforderungen vom zentralen SAP-ERP-System unterstützt werden. Organisatorisches Ziel ist es, das SAP Center of Competence (CoC) zu einem globalen Dienstleister innerhalb der Gruppe weiter auszubauen.
Alle Länder in Süd- und Mittelamerika sollen – wie schon bisher die europäischen Einheiten – in einem zentral gehosteten und vom SAP CoC betreuten SAP-System arbeiten. Dabei gilt es, die regionale IT-Abteilung in Südamerika im Applikationsmanagement einzubeziehen.
Die Herausforderung war es folglich, beim Südamerika-Rollout ein globales SAP-Template mit den lokalen Anforderungen zu vereinbaren. Für Grünenthal ging es dabei erstmals darum, Länder in einer anderen Zeitzone mit teilweise komplexen und Grünenthal noch unbekannten gesetzlichen und steuerlichen Anforderungen in das bisher nur in Europa eingesetzte SAP-ERP-System zu integrieren.
Bevor der Rollout in Lateinamerika begann, hatte Grünenthal bereits SAP in Europa mit ein und derselben Mannschaft erfolgreich eingeführt.
Dabei hatte das Unternehmen keinen reinen Template-Ansatz verfolgt, sondern zuvor eigene SAP-Standards definiert und diese individuell implementiert.
Die Ausgangslage in süd- und mittelamerikanischen Landesorganisationen war sehr unterschiedlich: Die Tochtergesellschaften nutzen seit vielen Jahren ein individuell angepasstes ERP-System sowie ein regionales System für Business Intelligence.
Zudem ist das ERP-System nicht einheitlich eingeführt worden. Und auch die Situation in Brasilien ist speziell: Da die brasilianische Vertriebsgesellschaft zum Zeitpunkt der SAP-Einführung noch gar kein operatives Geschäft hatte, bestanden Unklarheiten im Hinblick auf die Anforderungen an das neue System, die sich erst im operativen Alltag herauskristallisieren.
Komplexes Steuersystem
Ein weiterer zentraler Punkt im Projekt sind die hohen legalen Anforderungen an Unternehmen in Brasilien, und zwar bei Steuerverfahren, Materialbewertung und Legal Reporting.
Während in Deutschland Firmen im Jahr durchschnittlich 220 Stunden für die Ermittlung, das Reporting und die Zahlung von Steuern benötigen, dauert es mit 2.600 Stunden in Brasilien zwölfmal länger: Jedes Unternehmen muss für jeden einzelnen Vorgang eine sogenannte Nota Fiscal an die Behörden elektronisch übermitteln.
Der Rollout in Mittel- und Südamerika ist für das Phamaunternehmen ein strategisch wichtiges und großes Projekt. Das Mengengerüst umfasst die Einführung des globalen SAP-ERP-Systems in acht Ländern in Mittel- und Südamerika – mit acht Vertriebsorganisationen und zwei Produktionsstandorten.
Zu integrieren sind überdies sechs Logistik-Dienstleister und zwei Wiegesysteme sowie zwei automatische Lager. Auf der Liste der Anforderungen stehen des Weiteren mehr als zehn Bankenschnittstellen, lokale Schnittstellen zu Payroll-Systemen, Schnittstellen zu drei verschiedenen externen Order-Management-Systemen, verschiedene Varianten von elektronischen Rechnungen sowie das neue System für Nota Fiscal in Brasilien.
Nicht zuletzt gilt es, in den verschiedenen Zeitzonen etwa 650 neue User zu schulen und zu unterstützen. Projektstart des Rollouts in Südamerika war zum Jahresanfang 2013. Insgesamt hat das Pharmaunternehmen für den Rollout vier Jahre vorgesehen.
Das Projekt-Ziel soll durch ein zugeschnittes SAP-Template erreicht werden. Dies umfasst ein globales Template mit SAP-Standards für Prozesse, Stammdaten und Reporting, darüber hinaus aber auch globale Grünenthal-Definitionen für Prozesse, Stammdaten und Reporting sowie in Europa erfolgreich implementierte Prozesse für verschiedene Geschäftsmodelle mit unterschiedlichen Outsourcing-Konzepten für Logistikdienstleistungen.
Auch ein globales Schnittstellen-Konzept für Logistik Service Provider, Payroll-Systeme, Reisekosten, BI-Systeme und andere mehr wird in den neuen Ländern in Mittel- und Südamerika übernommen.
Weiterhin verfügt Grünenthal über einen Werkzeugkasten von getesteten und erprobten Migrationstools sowie ein Set von Reports für das tägliche Geschäft.
Globaler Baukasten M-cbs
Die von cbs Corporate Business Solutions entwickelte Methode M-cbs ermöglicht es, ein globales Rollout-Vorhaben zu beherrschen, zu beschleunigen und kosteneffizient zu gestalten.
Das Template funktioniert wie ein Baukastensystem, das ein definiertes Set von globalen Geschäftsprozessen, Prozess-Varianten sowie gekapselte Prozesse aus Best Practices enthält.
Auch die speziellen brasilianischen Anforderungen wie Nota Fiscal, Steuerberechnung oder CFOP-Ermittlung, also die Klassifizierung der einzelnen Prozesse in behördlich vorgegebene Codes, lassen sich abbilden.
Da Grünenthal bislang in Brasilien noch nicht operativ tätig war, kannte es bislang auch noch nicht die lokalen Anforderungen. Das Pharmaunternehmen war sich aber im Klaren darüber, dass eine integrierte Lösung für die elektronische Übermittlung der Nota-Fiscal-Daten an die Steuerbehörde SEFAZ obligatorisch für das Geschäft in Brasilien war.
Die SAP-Lösung SAP Nota Fiscal Eletrônica (SAP NFE) bietet hierfür eine Datenübertragung in Echtzeit. Dazu können aus SAP NFE die Nota Fiscals direkt aus dem System erstellt und diese an die Behörden versendet werden.
Die landesspezifische SAP-Lösung enthält ein Set von Prozessen oder Prozessvarianten sowie Best Practices für das brasilianische Steuerverfahren.
Ein Projekt über vier Jahre
Der Rollout nach Brasilien startete am 1. Juli 2013 mit einem Workshop. Die cbs-Berater machten die zentrale IT von Grünenthal, das CoC in Aachen, mit ihrem Wissen und Erfahrungen über die hohen und komplexen Anforderungen in Brasilien vertraut.
Dabei gingen die Berater auch auf die kulturellen und sprachlichen Barrieren ein. In dem Workshop zeigte cbs auf, welche spezifischen Anforderungen in Brasilien bestehen und wie sich die Prozesse in diesem Umfeld standardisieren lassen.
Die legalen und steuerrechtlichen Anforderungen wurden dargestellt und auf die Situation von Grünenthal übertragen.
Mit dieser Vorbereitung konnte das zentrale SAP CoC von Grünenthal das ERP-System an die neue Situation anpassen. Da Grünenthal erstmals in seiner Unternehmensgeschichte damit konfrontiert war, eine andere Zeitzone einzubeziehen, überarbeitete die zentrale IT in Aachen mit Unterstützung von cbs auch ihr Support-Konzept komplett.
So wurden die Voraussetzungen geschaffen, Wartung und Hosting für das SAP-System in den südamerikanischen Ländern zentral erfolgreich zu leisten.
Im Vorfeld des Projektes wurde das Grünenthal-ERP-System auf den neuesten Stand bezüglich Service Packages und Enhancement Packages gebracht, um möglichst viele aktuelle SAP-Lösungen für legale Anforderungen in Süd- und Mittelamerika nutzen zu können.
Der Setup des Systems erfolgte zwischen Mai und Juni 2013 und wurde nach Tests im September 2013 abgeschlossen. Anschließend wurden die neuen Anwender in Brasilien und Venezuela geschult und weitere Tests vorgenommen.
Insgesamt wurden alle gängigen SAP-Funktionen eingeführt – vom Vertrieb über Distribution, Controlling, Finanzen, Manufacturing & Packaging, Quality Management bis hin zu Warehouse-Management, Beschaffung, Bestandsmanagement und Bedarfsplanung. Ein besonderes Augenmerk lag auf den spezifischen Anforderungen der Pharma-Branche in Brasilien.
In der neuen brasilianischen Vertriebsgesellschaft ging das SAP-ERP-System am 1. November 2013 live, Venezuela folgte zwei Monate später am 1. Januar 2014. Am 1. Januar 2015 folgten Peru mit einer Vertriebsgesellschaft sowie Ecuador mit einer Vertriebsgesellschaft und einem Produktionsstandort.
Das Business läuft
Nun sind bei Grünenthal alle europäischen und die ersten fünf lateinamerikanischen Buchungskreise in SAP abgebildet. Das globale SAP-ERP-System wird in der zentralen IT von Grünenthal in Aachen gehostet und durch das SAP Competence Center gewartet.
Das neue Support-Konzept kommt auch in den vier südamerikanischen Ländern zum Einsatz. So sieht es aus: Der First-Level-Support wird in der Region durch lokale IT-Experten und Prozess-Experten der Fachbereiche gewährleistet.
Probleme, die nicht vor Ort gelöst werden können, werden an den Second-Level-Support in Aachen weitergeleitet und dort, gegebenenfalls mit externer Unterstützung durch cbs, gelöst.
Das gesamte Rollout-Projekt des Grünenthal-SAP-ERP-Systems in die Länder in Mittel- und Südamerika läuft bis 2016. Insgesamt sind zehn Buchungskreise in acht Ländern geplant.
Bei einem solchen Rollout muss vor allem in Brasilien vor dem Go-Live der Lösung klar sein, wer die recht häufigen Änderungen im brasilianischen Steuersystem in Zukunft überwacht und bewertet. Nur dann ist ein reibungsloser Betrieb dauerhaft möglich.
Sinnvoll ist es außerdem, frühzeitig Wirtschaftsprüfer einzubeziehen, die die gesetzeskonforme Umsetzung der Anforderungen bestätigen können, um im Bedarfsfall auch sehr zeitnah nachjustieren zu können.
Das wachsende Business in den vier südamerikanischen Ländern kann Grünenthal durch erprobte Prozesse jetzt effektiver bearbeiten. Die einheitliche SAP-Lösung ermöglicht es, die Landesgesellschaften nach definierten Kennzahlen transparent zu vergleichen.
Grünenthal ist somit in seiner Strategie ein gutes Stück vorangekommen, weltweit mit nur einem SAP-ERP-System zu arbeiten und hier harmonisierte Stammdaten und standardisierte Prozesse vorzufinden.