Teure Cloud-Verluste
Ex-SAP-Mitarbeiter Werner Dähn, einer der versiertesten analytischen Beobachter der SAP-Community, meinte dazu: „Ich bin nicht glücklich damit, axiomatisch Public Cloud mit hoher Marge gleichzusetzen, denn es gibt dafür eine wichtige Randbedingung: Die Kosten jedes zusätzlichen Kunden müssen null sein.“
Cloud Computing kann nicht auf der einen Seite eine Ersparnis für SAP-Bestandskunden sein und auf der anderen ein Lottogewinn für SAP. Naturgemäß kann es im positiven Sinn zu Skaleneffekten kommen, wodurch die Betriebskosten unter denen eines eigenen Rechenzentrums liegen – aber diese Effekte kennen die SAP-Bestandskunden seit vielen Jahren aus den Bereichen Outsourcing und Hosting. Hier gab es legendäre CIOs, die oft niedrigere Betriebskosten als vergleichbare Hoster hatten. Somit sind die Fragen, die Werner Dähn stellt, legitim: „Wenn SAP einen weiteren S/4-Kunden gewinnt, läuft der auf den bestehenden Servern mit? Benötigt er keinerlei Betreuung?“
Dähns Antwort: „Der Kunde erzeugt ganz sicher zusätzliche Kosten – zu einem recht großen Anteil. Erschwerend kommt hinzu, eine Public-Cloud-Software hat eine signifikant höhere Komplexität und damit höhere Kosten. Weiters sind die Kunden nicht bereit, das n-fache im Vergleich zu vorher zu bezahlen, nur um den Betrieb der Software abzugeben. Reduziert auf diesen Aspekt hat SAP also keine Public Cloud, sondern ein Outsourcing-Angebot.“
Offensichtlich sieht SAP-Chef Christian Klein die Sachlage ähnlich. SAP will zum großen Unmut des Anwendervereins DSAG die Cloud-Subscription mit einem festen Index von jährlich plus 3,3 Prozent steigern. Ob die Rechnung für SAP aufgeht, bezweifelt Werner Dähn. Bei einer Verdoppelung des Cloud-Umsatzes sieht er keine deutliche Verbesserung der Marge. Und der Ex-SAP-Manager meint: „On-prem ist da lustigerweise besser! Da wurde Software erstellt, pro Jahr 20 Prozent des Listenpreises als Maintenance-Kosten einkassiert und die Betriebskosten wurden vom Kunden in Form von Hardware und Personal selbst getragen. Verdoppelt sich in diesem Modell die Kundenanzahl, verdoppelt sich der Umsatz, die Kosten bleiben gleich, die Marge nähert sich den 100 Prozent.“
Analysten bestätigen diese On-prem-Sichtweise und haben ausgerechnet, dass im traditionellen Lizenzgeschäft SAP eine Marge von deutlich über 80 Prozent hat. Abschließend stellt Werner Dähn die rhetorische Frage: Was passiert also mit der Marge, wenn man das On-prem-Geschäft aufgibt und alles in Richtung SAP-Cloud zieht?
Als Klarstellung muss auch noch betont werden, dass in vielen Fällen die SAP-Bestandskunden keine Wahl mehr haben, siehe IBP, Integrated Bussines Planing for Supply Chain. Diese SAP-Software löst den bekannten APO (Advanced Planer und Optimizer) ab, ist wesentlich leistungsfähiger und funktionaler – aber nur als Cloud-Angebot zu bekommen, siehe auch die E-3 Coverstory von SAP-Partner Consilio in der Beilage des Manager Magazins September 2022.
1 Kommentar
Christian Podiwinsky
Der Siegeszug von SAP beruht auf der Unterstützung von allumfassenden betriebswirtschaftlichen Funktionen für alle gängigen Branchen, der bedingungslosen Prozess- und Datenintegration von durchgängigen Unternehmensprozessen und EINER einheitlichen logischen Datenbank. Die Kunden erwarten auch eine permanente Weiterentwicklung von Softwareanwendung und Technologie. Das bezahlen sie ja auch mit den doch geschmalzenen Wartungsgebühren (alle 5 Jahre werden die Lizenz-Einstandsgebühren bezahlt). Solange das kompromisslos im SAP-Standard umgesetzt wird, nehmen die Kunden mangelnde Oberflächenmodernität, umständlicheres Handling und eine manchmal verschrobene Bedienung in Kauf. Speziell im Mittelstand will man seine Key-ERP-Applikationen entweder auf eigenen Rechnern oder in Near-by-Rechenzentren, zu denen man auch persönliche Beziehungen hat, ablaufen lassen.
Der Zukauf der neuen Firmen um 26 Milliarden Euro (gesponsert unter anderem von den Wartungsgebühren der Kunden) brachte den Bestandskunden des operativen SAP kaum Mehrwert (die Systeme sind auch bei weitem nicht so integriert, wie es SAP-Anwender gewohnt sind). Mit der In-memory-Datenbank S/4 HANA könnte man aufgrund deren immens gesteigerten Datenmanipulationsgeschwindigkeit – aufbauend auf den bestehenden Funktionen und logischen Datenbanken – enorme betriebswirtschaftliche Funktionserweiterungen entwickeln (z.B. Verfügbarkeitsprüfung, simultane Planung, Kapazitätsanalysen und daraus abgeleitete Produktionsvarianten, Preisvergleiche, Reporting und Analysen mit KI-Komponenten…). Mithilfe der modernen Low-Code-/No-Code-Technik könnte man die Integration sowohl zum Produktionsshopfloor als auch Entwicklungen zur Kunden-/Lieferantenkommunikation, an Anforderung unterschiedlicher Fachbereiche angepasste Oberflächen und vor allem auch durchgängige Workflow-Abwicklungen und viele schnelle individuelle Transaktionsoberflächen und Reports schaffen, ohne die bedingungslose Integration und Funktions-/Prozess- und Datenbankeinheitlichkeit zu verlieren. Das wäre die logische Weiterentwicklung der SAP gewesen, wie es sich auch sehr viele Kunden erwartet und gewünscht hätten.
Aber nein – SAP kaufte Software zu, die in allen Belangen Fremdkörper zum erfolgreichen ERP waren und jetzt wollen sie – aus betriebswirtschaftlicher Sicht der Kunden vollkommen unbegründet – in Cloud-Lösungen mit einem Mietmodell, die hardwaremäßig vollkommen anonym irgendwo bei SAP laufen. Meinen Berechnungen zufolge sind die Total Cost of Ownership von SAP-ERP-Software ab dem fünften Jahr höher als bei einer On-demand-Lösung. Und ERP-Systeme laufen 10 bis 15 Jahre mindestens. Noch dazu bringt die S/4-HANA-Release – im Vergleich zur letzten R/3-Release – kaum wirklich wesentliche betriebswirtschaftliche Goodies. Schön ist natürlich, dass Reports und andere Datenbankoperationen um ein x-faches schneller ablaufen. Aber was bringt den Fachbereichen die sogenannte Simplifzierung der Rechnungswesen-Tabellen in Form der einheitlichen ACDOCA? Oder wozu brauchen Rechnungsprüfer, die täglich 100 Eingangsrechnungen erfassen, langsamere Fiori-Apps?
Die SAP braucht sich daher nicht wundern, dass ihre Neuerungen – inklusive der Cloud-Lösungen/Cloud-Produkte – nicht so gut ankommen. Besser wäre es, sich zu überlegen, was die gestandenen Stammkunden wirklich wollen und wofür sie bereit sind – basierend auf betriebswirtschaftlichem Nutzen – mehr Geld auszugeben (siehe oben).