Digitalisierung ist nichts für Feiglinge
Der Scherz des Jahres 2020 ging viral: „Wer treibt die digitale Transformation in Ihrer Firma voran? a) CEO b) CDO c) Covid-19“, c) natürlich dick rot angekreuzt. Haben wir gelacht. Die Medien allerdings nehmen das für bare Münze und sagen uns, die zehn Wochen im vergangenen Frühjahr hätten die digitale Transformation des Landes mehr vorangebracht als die zehn Jahre zuvor.
Sie und ich wissen, dass das nicht stimmt. Dass verkrustete Strukturen und Prozesse eben nicht dadurch zukunftsfähig werden, indem man sie plötzlich auf Zoom, Webex oder Teams auslebt. Warum aber reden wir über Digitalisierung in unserer Gesellschaft mit so wenig Wissen, aber mit umso mehr Überzeugung? Das hat vor allem drei Ursachen.
Erstens verstehen nur wenige das Thema in der Tiefe. Kein Wunder: Digitalisierung bildet ein Dreieck aus Technik, Wirtschaft und Mensch und Gesellschaft. Ohne Ahnung von der Technik hat keiner eine ernsthafte Chance, es zu verstehen. Und wir bestehen darauf, unsere Schulkinder zu perfekten Smartphone-Konsumenten zu machen, aber nicht in Informatik auszubilden.
Aber selbst wer die Technik beherrscht, dem fehlen noch immer zwei Drittel des Dreiecks. Denn das Spannende erkennt man nur im Zusammenhang. Doch auch in Uni und Firmen achten wir darauf, dass die drei Silos immer schön getrennt bleiben.
Zweitens gibt es eine Menge Blender. Solche, die das Spiel verstehen, und noch viele mehr, die es nur vortäuschen – beide haben überhaupt kein Interesse daran, ihr Wissen zu teilen. Weil sie nun allen anderen sagen können, dass das Thema viel zu komplex sei, um es zu erklären. Und sich durch Versprechen, Schönreden oder Drumherumreden Vorteile sichern können, in der Politik ebenso wie in großen Unternehmen.
Oder sie schweigen, weil sie diejenigen sind, denen die Technologie gehört, für die sie ganz dezent die Regeln bestimmen. Und drittens wollen wir, das Volk, die Wahrheit gar nicht wissen. Damit wir die bequemen und verführerischen digitalen Technologien sorglos weiter nutzen können.
Dabei ist das schon jetzt kaum und in Zukunft – mit Sensoren im privaten und öffentlichen Raum sowie digitalen Implantaten – noch viel weniger möglich, ohne dass die Folgen die Grundpfeiler von Wirtschaft und Gesellschaft erschüttern. Denn es geht vor allem um eines: Kontrolle. Das Grundübel der digitalen Welt ist, dass jemand anders Ihnen seinen Willen aufzwingen kann. Und das auch macht. Auf der persönlichen Ebene ebenso wie zwischen Unternehmen und zwischen Staaten.
Die ahnungslosen Versuche, die Ungleichgewichte mit simpler politischer Regulierung in den Griff zu bekommen, sind in ihrer Amateurhaftigkeit geradezu rührend: DSGVO, PSD2, „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Gut gemeint statt gut gemacht.
Falls Sie sich nun an den deutschen Hauptstadtflughafen erinnert fühlen, bitte: Das Vorzeigeprojekt der Bundesregierung, die „IT-Konsolidierung Bund“, bewegt sich bei Kostensteigerung und zeitlicher Verzögerung langsam auf die Dimensionen des Berliner Flughafens (BER) zu. Wahrscheinlich müssen die zahllosen IT-Berater dort bald selbst Berater anstellen. Zum Rechnungenschreiben.
Das alles ist kein Zufall. Denn das Problem ist: Digitalisierung ist gar nicht das Problem. Sondern macht nur die Probleme sichtbar, die durch viele Jahre kurzsichtiges und opportunistisches Handeln entstanden sind.
In der Digitalisierung gibt es, wie überall im Leben, keine Abkürzungen: Wer nachhaltige Ergebnisse will, muss nachhaltig arbeiten. Wenn Digitalisierung funktionieren soll, ist sie kein Lifestylethema, sondern eine Ingenieuraufgabe – eine große und komplexe zwar, aber eine lösbare. Die schlechte Nachricht ist: Wer uns etwas anderes erzählen will, erzählt Märchen. Oder klickt sich Lösungen zusammen, die am Ende nicht vernünftig funktionieren.
Ich bin viel rumgekommen in der Welt, und dort kennt man Deutschland noch immer als Ingenieurnation. Wollen wir wirklich, dass eine Handvoll ausländischer Konzerne bestimmt, wie wir leben? Hören wir nicht auf die Blender, sondern machen wir endlich unsere Hausaufgaben.
Besinnen wir uns auf unsere Fähigkeiten und ziehen wir am selben Strang. Idealerweise noch in dieselbe Richtung. Dann können wir gegen die Googles und Amazons dieser Welt zumindest noch ein Unentschieden herausholen.