Die Cloud im eigenen Rechenzentrum
Oettinger Davidoff betreibt seine SAP-Hana-Anwendungen auf der Plattform HPE GreenLake
Nach einjährigem Betrieb hat sich bestätigt, dass es die richtige Wahl war. Im vergangenen Jahr 2022 erreichten die Appliances, auf denen die Oettinger Davidoff, weltweit führender Hersteller von handgemachten Premiumzigarren, seine SAP-Anwendungen sechs Jahre betrieben hatte, das Ende ihres Lebenszyklus.
Noch vor wenigen Jahren wäre die Entscheidung für ein Nachfolgesystem relativ einfach gewesen. Es gab die Alternativen einer Appliance-Lösung und einer Tailored-Data-Center-Integration, und das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis hätte den Zuschlag erhalten.
Doch diesmal machte das SAP-Team von Oettinger Davidoff „den Fächer weiter auf“, wie es Projektleiter Josef Huber ausdrückt. Denn inzwischen hatten sich neue Alternativen etabliert – etwa Infrastrukturdienste aus der Public Cloud oder das ebenfalls cloudbasierte SAP Rise.
Gehen oder bleiben?
Für das Team um Josef Huber ging es also nicht nur um die Systemauswahl, sondern um die Gretchenfrage: Gehen oder bleiben? Sollen wir unsere SAP-Hana-Anwendungen in die Public Cloud auslagern oder weiter im eigenen Rechenzentrum betreiben? Neben SAP Rise wurde dabei auch eine Variante mit einem lokalen IT-Dienstleister geprüft, der die Migration und den Betrieb bei einem Hyperscaler übernommen hätte.
Eigentlich wäre die Migration in die Public Cloud ein logischer und notwendiger Schritt gewesen, denn der Betrieb der Linux-basierten Systemlandschaft brachte das SAP-Team von Oettinger Davidoff zunehmend an die Grenzen seiner Kapazitäten. Mit der Cloud-Migration wäre man diese Last losgeworden und hätte sich voll und ganz auf die Applikationen und Geschäftsprozesse konzentrieren können.
Doch dem standen einige Hindernisse im Weg. So waren etwa die Rise-Optionen für die Oettinger Davidoff, ein Familienunternehmen mit weltweit rund 3300 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 450 Millionen Schweizer Franken, keine konkurrenzfähige Variante für ein Lizenzmodell, das einfach nicht passte.
Zudem sprachen grundsätzliche Überlegungen gegen die Public Cloud als SAP-Plattform. Der Schweizer Zigarrenhersteller nutzt die Public Cloud seit einiger Zeit für verschiedene Anwendungen im SAP- und Non-SAP-Umfeld und hat dabei die Vor- und Nachteile dieses Ansatzes genau kennengelernt. „Inzwischen haben wir, wie viele andere Unternehmen auch, die Erfahrung gemacht, dass da nicht alles Gold ist, was glänzt“, sagt Patrick Sartorius, der als System-Engineer die SAP-Backend-Infrastruktur betreut. Während Eigenschaften wie schnelle Skalierbarkeit, verbrauchsabhängige Abrechnung und einfache Bedienung auf den ersten Blick sehr attraktiv erscheinen, wurden auch einige Nachteile identifiziert.
Dazu gehört laut Sartorius das Gefühl der Hilflosigkeit, wenn die Services aus der Public Cloud mal ausfallen. „Da stößt man schnell an Grenzen, wenn es darum geht, schnell einzugreifen, zu eskalieren und zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren, um die Verfügbarkeit schnellstmöglich wiederherzustellen.“ Ganz anders verhält es sich, wenn die Systeme im eigenen Rechenzentrum untergebracht sind. Josef Huber: „Da sind die Wege kurz und man hat direkten Kontakt zu den Servicetechnikern. Man spricht mit echten Menschen und nicht nur mit Bots.“ Das Fazit lautet aber nicht, die Public Cloud zu meiden, sondern sie dort einzusetzen, wo die Vorteile klar überwiegen. Bei geschäftskritischen Anwendungen wie SAP wird da ein spezielles Augenmerk darauf gelegt.
ECC und S/4 Hana
Ein weiteres Argument gegen die Migration in die Public Cloud war schließlich, dass bei Oettinger Davidoff ERP/ECC 6.0 und SAP S/4 Hana parallel im Einsatz sind. Und das soll auch noch drei bis vier weitere Jahre so bleiben.
Vor einigen Jahren wurde entschieden, den sogenannten Crop-to-Shop-Ansatz, mit dem das Unternehmen seine gesamte Wertschöpfungskette vom Tabaksamen über das Zigarrenrollen bis zur Auslieferung an den Handel steuert, in S/4 abzubilden: ein komplexes Projekt, bei dem die einzelnen Gesellschaften sukzessive von ECC auf S/4 umgestellt werden. Das braucht seine Zeit. Eine Migration in die Public Cloud hätte daher die SAP-Landschaft zerrissen, da nur S/4 in der Public Cloud lauffähig ist, die ECC-Anwendungen aber im eigenen Rechenzentrum hätten verbleiben müssen. Das hätte die Komplexität und den Aufwand für den SAP-Betrieb insgesamt deutlich erhöht, statt ihn – wie gewünscht – zu reduzieren.
Bechtle: Gehen und bleiben!
Aus diesem Entscheidungsdilemma half schließlich der langjährige IT-Dienstleister von Oettinger Davidoff, Bechtle, der präsentierte drei Lösungsvarianten, von denen eine perfekt zum Anforderungsprofil passte. Sie verbindet die Vorteile der Cloud mit denen des Betriebs im eigenen Rechenzentrum und wird vom Bechtle-Partner Hewlett Packard Enterprise (HPE) mit HPE GreenLake angeboten.
Bei diesem Modell betreibt HPE die SAP-Systeme dort, wo der Kunde es wünscht, zum Beispiel im eigenen Rechenzentrum oder in einem Colocation-Rechenzentrum. HPE übernimmt die komplette Betriebsverantwortung einschließlich SLA – im Fall von Oettinger Davidoff bis auf Betriebssystemebene und das Lifecycle Management, siehe oben: Linux Ressourcen.
Obwohl es sich dabei um dedizierte Systeme für jeweils einen Kunden handelt, bietet das Modell alle Cloud-Eigenschaften wie zum Beispiel nutzungsabhängige Abrechnung und schnelle Skalierbarkeit. Der Kunde kauft nicht die Systemplattform, sondern bezahlt für deren Nutzung. Der Abrechnungsparameter dafür ist bei SAP Hana das genutzte Arbeitsspeichervolumen.
Die Systeme vor Ort sind mit einem physischen Puffer ausgestattet, sodass die Kapazität bei Bedarf schnell erhöht werden kann. HPE überwacht das Gesamtsystem fortlaufend und prognostiziert Engpässe mithilfe eines KI-Systems. Damit kann die physische Pufferkapazität, falls erforderlich, rechtzeitig aufgestockt werden.
Das von Oettinger Davidoff gewählte Abrechnungsmodell verankert 80 Prozent der installierten physischen Arbeitsspeicherkapazität als fixe Abnahmemenge im HPE-GreenLake-Vertrag. Dieser relativ hohe Fixanteil ist angesichts des weitgehend stabilen Kapazitätsbedarfs realistisch und trägt dazu bei, den Preis pro Arbeitsspeichereinheit niedrig zu halten.
Den fünfjährigen HPE-GreenLake-Vertrag unterzeichnete Oettinger Davidoff Ende September 2021, und trotz coronabedingter Lieferengpässe konnte die HPE-Plattform bereits Anfang Januar 2022 im hauseigenen Rechenzentrum in Basel in-stalliert werden. Die Grundlage dafür sind zwei Scale-up-Appliances mit dem HPE ProLiant DL560 und jeweils drei Terabyte Arbeitsspeicher.
Die Systeme wurden fertig vorkonfiguriert geliefert, sodass vor Ort nur noch wenige Installationsaufgaben zu erledigen waren. „Als die Appliances ankamen, waren sie praktisch steckerfähig“, sagt Patrick Sartorius. Nach zwei bis drei Wochen war die gesamte Plattform einschließlich der Systeme für Monitoring und Management integriert, getestet und verifiziert.
Das Beste aus beiden Welten
Nach rund einem Jahr operativem Betrieb der SAP-Anwendungen auf HPE GreenLake können die SAP-Verantwortlichen bei Oettinger Davidoff feststellen, dass sie ihre Ziele erreicht haben. Sie konnten den Systembetrieb komplett an HPE auslagern und sich damit auf die Applikations-Ebene konzentrieren.
Die Service-Verfügbarkeit lag in dieser Zeit bei 100 Prozent, es gab keine Performance-Probleme und auch sonst kaum besondere Vorkommnisse. „Wir haben alle drei Monate ein Statusmeeting mit HPE, bis jetzt ohne einen Grund für Diskussionen“, sagt Sartorius. Was will man mehr.
In Bezug auf die Nutzererfahrung sieht das SAP-Team keinen Unterschied zwischen der Public Cloud und HPE GreenLake. Das Incident-Management zum Beispiel läuft über einen von HPE betriebenen ServiceNow-Agenten, der automatisch die entsprechenden Prozesse im HPE-Service-Center in Sofia, Bulgarien, anstößt.
Ein gutes Gefühl
Gleichzeitig bietet das On-prem-Cloudmodell große Vorteile gegenüber der Public Cloud. Dazu gehört der direkte Draht zu den SAP-Experten beim IT-Dienstleister Bechtle und im SAP Competence Center von HPE in Walldorf.
Und nicht zuletzt bietet die Cloud im eigenen Rechenzentrum einen Vorteil, der sich zwar betriebswirtschaftlich kaum messen lässt, aber für die tagtägliche Arbeit des SAP-Teams dennoch von großer Bedeutung ist: das gute Gefühl, die eigene SAP-Landschaft im Griff zu haben. „Falls unsere Hana-Plattform einmal ausfallen sollte, sind wir nah dran und wissen schneller, was los ist“, sagt Peter Jenne, SAP-Basis-Administrator bei Davidoff. „Da fühlt man sich für den Fall der Fälle einfach sicherer und nicht so machtlos.“
Oettinger Davidoff
Die Oettinger-Davidoff-Gruppe mit einem Umsatz von 456 Millionen Schweizer Franken und 3300 Beschäftigten auf der ganzen Welt kann ihre Wurzeln bis ins Jahr 1875 zurückführen und ist bis heute ein eigenständiges Familienunternehmen. Sie widmet sich der Herstellung, der Vermarktung, dem Vertrieb
und dem Detailverkauf von Premium-Zigarren, Tabakprodukten und Accessoires.
Das Geschäft mit Premium-Zigarren umfasst die Marken Davidoff, AVO, Camacho, Cusano, Griffin’s, Private Stock, Zino und Zino Platinum.
Die Oettinger-Davidoff-Gruppe vertreibt zudem in mehreren Ländern in Generalvertretung zahlreiche Marken, darunter Haribo in der Schweiz. Das Unternehmen ist stark in der Crop-to-Shop-Philosophie verwurzelt und verfolgt damit den Ansatz der vertikalen Integration, von den Tabakfeldern in der Dominikanischen Republik und in Honduras bis zum weltweiten Netzwerk von 65 Davidoff-Flagship-Stores und Vertragshändlern in über 130 Ländern.