Deep Retail – Neue Technologien revolutionieren den Handel
Daten sind das neue Öl – dieses Credo dominiert seit Längerem sämtliche Diskussionen rund um technologische Innovationen, die auf einer effizienten Auswertung von Daten beruhen.
Daten sind der Schmierstoff, der die Beziehung zwischen Händlern und Kunden reibungslos gestaltet. Nicht erst heute. Auch früher schon haben Händler Informationen genutzt, um die Kundenbindung zu stärken.
Service, Service, Service
Wirte kannten die Lieblingsgetränke ihrer Stammgäste. Hoteliers wussten, welche Zimmer ihre treuesten Kunden bevorzugen. Ein derartiger Service verschafft Kunden ein wohliges Gefühl des Verstandenseins.
Wenn Konsumenten merken, dass Händler ihre Bedürfnisse kennen und ihre Wünsche treffsicher vorausahnen können, fühlen sie sich unweigerlich gut betreut – und sind sehr viel eher bereit, auch mal tiefer in den Geldbeutel zu greifen.
Informationen über Kunden nutzen: Die Grundlage für eine hoch individualisierte Kundenerfahrung sind Daten. Dank E-Commerce und Mobile-Commerce gibt es mehr Daten als je zuvor.
Unter der Voraussetzung, dass Nutzer dem zugestimmt haben, können Online-Händler bei jedem Kundenbesuch eine Vielzahl relevanter Daten erheben:
Welches Geschlecht hat der Kunde? Wie alt ist er? Ist er Neu- oder Bestandskunde? Wie lautet seine Geo-IP? Über welches Gerät greift er auf den Shop zu? Über welche Website gelangt er in den Shop? Welche Seiten und Kategorien interessieren ihn besonders? Welchen Wert hat der Warenkorb?
Diese Informationen fließen in die jeweilige Kundenhistorie ein und bilden die optimale Grundlage, um jeden einzelnen Kunden personalisiert ansprechen zu können, zum Beispiel mit persönlichen Angeboten und Empfehlungen, die auf seine Wünsche und Vorstellungen perfekt zugeschnitten sind.
Nächste Stufe: Personalisierung
Angetrieben durch den hohen Reifegrad vieler Technologien, steht ein entscheidender Schritt in der Evolution der Personalisierung bevor. Im Zusammenspiel ermöglichen Technologien, wie etwa Big Data, künstliche Intelligenz (KI) im Allgemeinen und Machine Learning im Speziellen, Gesichtserkennung und Eyetracking, personenbezogene Daten in einer gänzlich neuen und sehr leistungsfähigen Art und Weise zu generieren, zu analysieren und zu nutzen.
Dieser als Deep Retail bezeichnete Ansatz bietet dem Handel sehr vielversprechende Möglichkeiten der Personalisierung.
Mit jeder Aktivität hinterlassen Nutzer im Web ihre Spuren. Sie informieren sich, kaufen ein und bewerten Produkte sowie Dienstleistungen auf Bewertungsplattformen, in Social Media, in Online-Shops und Blogs.
Die Menge der verwertbaren Daten wird von Minute zu Minute größer. Darum sind Händler gut beraten, sich den vorhandenen Datenschatz zunutze zu machen, indem sie eigene Datenbestände aufbauen.
Dabei können sie bedarfsgerecht entscheiden, welche Informationen aus welchen Quellen sie benötigen: Posts aus den sozialen Medien, Marketing-Surveys oder auch Anfragen an den Kundenservice.
Alle Serviceaktivitäten
Registriert sich ein Neukunde in einem Online-Shop, gibt er eine Reihe relevanter Daten in ein Formular ein. In einer C/4-Hana-Umgebung werden diese Daten in der SAP Customer Data Cloud gespeichert.
Sollte sich der Kunde später über seinen Social-Media-Log-in im Shop anmelden, lassen sich Social-Media-Profile und Bestandsdaten miteinander verknüpfen, sofern der Nutzer zugestimmt hat.
In einer SAP-C/4-Umgebung werden dann all seine Posts, Likes und Kommentare in der SAP Customer Data Cloud gespeichert und analysiert. So entsteht ein aussagefähiges Profil des jeweiligen Kunden.
In der Customer Data Cloud kann auch das Consent-Management erfolgen, die Verwaltung der Zustimmung zur Nutzung kundenbezogener Daten. Auch für den Service ist das Tool eine wertvolle Unterstützung.
Senden Kunden eine Anfrage an den Kundenservice, wird die entsprechende E-Mail automatisch an die SAP Service Cloud weitergeleitet, kategorisiert, im Arbeitsvorrat des jeweiligen Serviceteams abgelegt und – im Idealfall – sogar vollständig automatisch bearbeitet. Das macht die SAP Service Cloud zum zentralen Anlaufpunkt für alle Serviceaktivitäten.
Künstliche Intelligenz
So entstehen Unmengen an Daten, die gewinnbringend analysiert und eingesetzt sein möchten. Genau das ermöglichen die Verfahren der künstlichen Intelligenz.
Die Unternehmensberatung Gartner hat in ihrer Studie „Artificial Intelligence Set to Transform Digital Commerce Marketing“ 2017 prognostiziert, dass 2020 schon 30 Prozent des weltweiten Umsatzwachstums im digitalen Handel auf KI-basierte Technologien zurückzuführen sein werden.
Bezogen auf den stationären Handel in Deutschland kam PwC in seiner Studie „Künstliche Intelligenz im Handel 2018“ zu dem Ergebnis, dass 44 Prozent der Deutschen durch den Einsatz von KI attraktivere Einkaufserlebnisse erwarten.
Vor diesem Hintergrund bietet SAP mit Leonardo eine KI-basierte Plattform, die Händler auf Basis von Machine Learning und neuronalen Netzen dabei unterstützt, aus Big Data präzise Erkenntnisse schnell abzuleiten und die Geschäftsprozesse entsprechend zu optimieren. Machine Learning versetzt Systeme in die Lage, aus der Erfahrung zu lernen und sich fortlaufend zu verbessern.
Das erforderliche Wissen generiert die KI aus unstrukturierten Daten, wie etwa Kommentaren und E-Mails, völlig automatisch. Dabei sucht sie nach wiederkehrenden Mustern, die es erlauben, computerbasierte Vorhersagen zu treffen – mit dem Ziel, dass Computer ohne menschliche Eingriffe oder Hilfe lernen und damit die Basis für bessere Entscheidungen schaffen.
So kann ein Machine-Learning-System beispielsweise Social-Media-Beiträge analysieren und erkennen, ob ein Kunde in Urlaubsstimmung ist und nach Neuseeland fliegen möchte. Daraufhin bekommt er bei seinem nächsten Shop-Besuch automatisch passende Produkte präsentiert.
Zudem können Händler über die sogenannte Anomaly-Detection feststellen, ob Abweichungen auftreten. Verkauft sich ein Produkt in einer bestimmten Region oder Zielgruppe plötzlich besonders gut? Indem sie diese Vorgänge analysieren, können sie passende Aktionen entwickeln, um den Trend weiter zu befeuern und/oder in andere Regionen sowie Zielgruppen auszuweiten.
Sentiment-Analyse erfasst das Stimmungsbild
Benutzergenerierte Inhalte auszuwerten bietet einen weiteren Vorteil: Aus den Stimmungen und den Meinungen der Nutzer können Händler wertvolle Erkenntnisse im Hinblick auf jene Produkte und Services ableiten, die ihre Kunden als gut oder weniger gut bewerten – und ihr Angebot zielführend weiterentwickeln.
Hierfür prüft die Lösung, ob eine Aussage als positiv oder negativ einzustufen ist. So können Händler dann passende Angebote oder Maßnahmen konzipieren.
In einer SAP-Umgebung wird die Sentiment-Analyse an die SAP Cloud Platform angebunden und in die SAP Marketing Cloud sowie die SAP Service Cloud integriert.
Daneben gibt es weitere Möglichkeiten, um personenbezogene Daten zu generieren. So verfügen zum Beispiel viele Smartphones über Technologien für die Gesichtserkennung. Bislang dient diese Technologie insbesondere dem Zweck, das jeweilige Gerät zu entsperren.
Gesichtserkennung & Eyetracking
Doch es liegt nahe, die Vorteile dieser Funktion auch anderweitig zu nutzen. So können sich iPhone-Nutzer bereits per Face ID für Apple Pay authentifizieren.
In Zukunft wird es darüber hinaus möglich sein, die momentane Stimmung der Nutzer über die Gesichtserkennungs-Funktion zu erfassen und ihnen entsprechende Shopping-Angebote zu unterbreiten.
Entsprechend groß ist das Interesse des Handels an der Gesichtserkennungs-Technologie – etwa als Basis für die Optimierung der Customer-Experience. So hat Walmart ein Patent für eine Technologie angemeldet, die die emotionale Verfassung der Käufer beim Einkaufen im stationären Markt erkennt.
Großes Potenzial sieht der Handel auch im Eyetracking. War die Technologie bislang nur an speziellen Bildschirmen verfügbar, etwa im Spielebereich oder für Usability-Tests, gibt es mittlerweile Geräte, die sich an normale Bildschirme montieren lassen und so ein professionelles Eyetracking ermöglichen.
Im Zuge von Augmented Reality hat sich Eyetracking als Bestandteil verschiedener Apps etabliert, genutzt wird die Selfie-Kamera des Smartphones.
Wenn Händler wissen, welche Bereiche und damit Angebote die Besucher ihres Shops besonders intensiv betrachten, kann das System die weitere Kundenerfahrung personalisiert gestalten, indem es beispielsweise passende Produkte empfiehlt.
Bei der Implementierung solcher Verfahren ist es entscheidend, vorhandene Datenschutzbedenken der Nutzer ernst zu nehmen. Die Datenschutzskandale der letzten Zeit haben schließlich zu einer spürbaren Sensibilisierung geführt.
Sowohl Kunden als auch Händler bewegen sich hier im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach hochgradig personalisierten Einkaufserlebnissen und dem berechtigten Interesse am Schutz personenbezogener Daten.
Datenschutz
Darum gilt: Händler, die sich mit den Möglichkeiten des Deep Retail beschäftigen, sollten verinnerlichen, dass im Hinblick auf die Nutzung von Kundendaten absolute Transparenz sichergestellt sein muss. Sie müssen transparent darlegen, welche Daten sie wofür sammeln, wie sie diese speichern und schützen.
Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stellt hier das entsprechende Rahmenwerk zur Verfügung. Sie bietet Händlern die Chance, das Vertrauen ihrer Kunden zu erhöhen, indem sie einen seriösen Umgang mit deren Daten pflegen. Das stärkt nicht zuletzt die Kundenbindung.
Smarte Händler kennen ihre Kunden besser als diese sich selbst. Es geht nicht mehr darum, die Verbraucher zu fragen, was sie wollen, sondern ihre tiefsten Wünsche frühzeitig zu erkennen – und zu erfüllen.
So lässt sich der Umsatz kurzfristig steigern, während Händler langfristig von einer nachhaltig gefestigten Kundenbindung profitieren.