Mit E2E in die Sackgasse
Mein SAP-Stammtisch wird immer komplexer und chaotischer. SAP versorgt uns mit gefühlt unendlich vielen Themen und Funktionen, sodass eine konsolidierende Debatte kaum mehr möglich ist. Im Wochentakt kommen von SAP neue Ideen, halbfertige Produkte, unreife Innovationen und sehr komplizierte Preislisten. SAP-Chef Christian Klein gefällt sich in immer neuen Erklärkommentaren, die über die Zeit inkonsistent und beliebig wirken.
Meine Stammtischschwestern und -brüder hatten eine Diskussion über End-to-End-Prozesse und darüber, dass diese mit der Fülle an Funktionen, Möglichkeiten und Ausnahmen in einer S/4-Ungebung kaum mehr möglich sind. Ziel war nicht eine Kritik am SAP-Chef Christian Klein und seinen Mitstreitern Jürgen Müller und Thomas Saueressig, sondern eine Analyse einer gefährlichen Entwicklung: Das Triumvirat produziert viele neue Ideen, die von den Bestandskunden kaum verarbeitet, wahrgenommen und einsortiert werden können.
Technik
SAP ist auf Technik fokussiert. Christian Klein diskutiert mit Vorliebe das Infrastrukturproblem Cloud Computing. Thomas Saueressig schweigt und sein Vorstandskollege Jürgen Müller philosophiert über ein SAP’sches Programmierparadigma zwischen Steampunk und Build. Geschäftsprozesse mit einem E2E-Ansatz bleiben außen vor. Betriebswirtschaftliche und organisatorische Standardprozesse scheinen nicht mehr die Kernkompetenz von SAP zu sein.
Einer meiner Stammtischteilnehmer brachte es auf den Punkt: Wer von Beginn an dabei war, der hat bis heute drei Mal ein unfertiges S/4 customized und noch immer keinen funktionalen Zugewinn für seine Anwender erzielt. Das kommende S/4-Ankerrelease soll wieder einmal alles einfangen und konsolidieren, damit die SAP-Bestandskunden endlich die Technik hinter sich lassen können und mit der digitalen Transformation beginnen.
Nachfolger
Natürlich machte ich Chefredakteur Färbinger die Freude und schickte einen meiner Mitarbeiter zu seiner Veranstaltung nach Salzburg. Dieser Nachfolger des legendären CCC-Forums entwickelt sich zaghaft, aber ich hoffe, dass es in den kommenden Jahren ein Erfolg wird. Mein Mitarbeiter berichtete mir von einem erhellenden Vortrag von SAP-Urgestein Uwe Grigoleit; dieser meinte, dass mit dem Produktivstart von SAP S/4 Hana die digitale Transformation beginnt! Diese Aussage erscheint mir überraschend und ehrlich zugleich: S/4 wäre demnach nicht die Antwort, sondern die Basis für eine anstehende Digitalisierung. Grigoleits Worte würden Sinn ergeben, wenn S/4 eine konsolidierte und stabile Basis und eben kein Sammelbecken unterschiedlicher Techniken, Funktionen, Innovationen und Betriebsmodelle wäre. Ich kann es auch positiv formulieren: Es ist zu viel des Guten. SAP neigt zur Übertreibung. Warum ist SAP nicht beim Partner Celonis geblieben, der es bereits auf die SAP-Preisliste geschafft hat? SAP kaufte Signavio und seitdem geht ein Schisma durch die SAP-Community.
Mit dem Zukauf weiterer IT-Lösungen in den vergangenen Jahren hat SAP ein nahezu unüberschaubares und unkontrollierbares Angebot geschaffen. SAP-Chef Christian Klein ist Anbieter mannigfaltiger hervorragender Einzellösungen, die den SAP-Bestandskunden zu schwankenden Lizenzpreisen ohne Konzept angeboten werden. SAP hat seine ERP-Kompetenz abgegeben.
Business Technology Platform
Der Diskurs der DSAG zeigt: Eine Business Technology Platform muss funktional überzeugen und nicht durch innovative Technik blenden. Der betriebswirtschaftliche Aspekt ist der Wettbewerbsvorteil für uns SAP-Bestandskunden. Statt den Schwerpunkt auf Betriebswirtschaft, Integration und Diversifikation zu setzen, drängt Klein seine Bestandskunden in Richtung Public Cloud und er fördert damit eine technische Betriebsmodelldiskussion.
Eine digitale Transformation der Aufbau- und Ablauforganisation gelingt jedoch nicht mit einem technischen Releasewechsel. Es gibt aktuell keine konsistenten End-to-End-Prozesse in einer SAP-ERP-Landschaft, ist sich mein SAP-Stammtisch einig. Das SAP-Angebot, die Möglichkeiten, die Technik, die Lizenzen sind zu komplex, zu mannigfaltig und zu heterogen, um durchgängige Geschäftsprozesse zu erreichen. Es endet in einer Sackgasse.