Ist die S/4-Strategie 2022 noch zeitgemäß?
Die Betriebswirtschaftslehre spricht von erfolgreichen Unternehmensstrategien, wenn diese für drei bis maximal fünf Jahre angesetzt sind und auch in diesem Zeitraum operativ vollzogen werden. In unserer schnelllebigen Zeit müssen deren IT-Strategien noch kürzere Zeiträume haben. S/4 und die SAP-Cloud feiern bereits den siebenten Jahrestag und die SAP-Community fragt sich, wo sie mit der SAP-Strategie stehen und wie es weitergeht.
Seit der S/4-Hana-Präsentation durch Bill McDermott und Hasso Plattner gab es zwar einen Generationswechsel auf Vorstandsebene, aber keinen neuen Status zur S/4-Strategie. Vielleicht liegt dies daran, dass die Umsetzung der letzten SAP-Strategie durch Christian Klein doch viel aufwändiger ist als geplant. Hat SAP möglicherweise die falschen technologischen Ansätze für die strategische Transformation gewählt? Denn genau dafür gibt es viele Anzeichen.
Die Werkzeuge für technische Transformation mit den Varianten der Transition, Brownfield oder Greenfield, sind viel zu komplex und deren Entwicklungszeiten dauern zu lange. Es wurden nicht nur Tools mit unterschiedlichsten Methoden und Technologien entwickelt, sondern diese immer wieder verworfen oder öfters geändert. Eine technische Verbindung der Tools in das SAP-Activate hätte zum Beispiel die Komplexität entschärft und Zeit erspart.
Anstatt die Transformationswerkzeuge zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und zu beschleunigen, musste SAP auf Druck der Bestandskunden Teile der Strategie anpassen. So wurde der „Cloud only“-Ansatz zu hybriden Systemarchitekturen geändert. Für die Kunden hat es den Anschein, als gäbe es für die Transformationswerkzeuge keine klare und zentrale Steuerung der SAP.
Die Systemintegration aller Softwaremodule war eine der wesentlichen Erfolgsfaktoren in der vergangenen SAP-Geschichte. Mit den vielen strategischen Produktzukäufen von SAP in den vergangenen Jahren ist aber der Fokus auf deren Integration in das zentrale Core-System verloren gegangen. Diese Vorgangsweise hat nicht nur zeitliche, sondern auch systemtechnische Auswirkungen auf strategischer Ebene nach sich gezogen. Erfolgreiche hybride Systemlandschaften und Cloudlösungen setzen voraus, dass eine volle Softwareintegration gegeben ist. Christian Klein hat das Problem zwar erkannt, die Aufarbeitung hat aber nicht nur viel kostbare Zeit, sondern auch Geld gekostet.
Welche Auswirkungen haben aber solche strategischen Themen auf die SAP-Kunden? Dazu nur ein kleiner Auszug oder Hinweis, eingegrenzt auf die Zielgruppe der Bestandskunden. Es ist davon auszugehen, dass alle SAP-Bestandskunden die notwendige Transformation in irgendeiner Form vollziehen werden (müssen). Die meisten Klein- und Mittelbetriebe werden den Technologiewechsel mit jeder Variante von R/3 auf eine hybride S/4-Landschaft in der entsprechenden Zeit bewerkstelligen können.
Bei den großen Bestandskunden schaut es anders aus. Eine rein „technische“ Transition auch mit vielen SAP-Systemen, Schnittstellen und Eigenentwicklungen ohne jede Systemänderung sollte auch in fünf Jahren machbar sein. Die SAP-Großkunden mit der Brown- oder Greenfield-Variante benötigen allerdings eigene Strategien. Diese Umsetzungsprojekte müssen nach Prioritäten erfolgen, wobei die Schwerpunkte aus zeitlichen Gründen nur auf die Kernprozesse und deren neueste Technologien gesetzt werden sollten.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass sowohl die Überzeugungsarbeit von SAP für die S/4-Hana-Strategie hinsichtlich deren Mehrwert als auch die Maßnahmen zur Umsetzung zu viel Zeit kosten. Aus strategischer Sicht ist dabei die größte Gefahr für die Kunden, dass infolge der langen Transformationszeit die IT-Technologien schon wieder veraltet sind. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die IT, sondern auch auf die gesamte Unternehmensstrategie.