SAP EWM: Alles fließt – vom Einkauf bis zum Kunden


Er gehört in jede Schreibtischschublade und ist in sämtlichen Farben und Stärken zu haben: der Edding-Stift. Gefertigt werden die Alu-Marker dieser Marke in Europa von Linhardt, spezialisiert auf innovative Verpackungslösungen aus Aluminium und Kunststoff. Um sich zukunftsorientiert aufzustellen, hat das Familienunternehmen aus Bayern vor einigen Jahren eine IT- und Digitalisierungsstrategie entwickelt. Ein wichtiger Bestandteil war die Einführung von S/4 . Auf dieser Basis wurde konkret für die Logistik ein Konzept für die Weiterentwicklung bis 2030 aufgesetzt. Über 100 Millionen Euro investiert Linhardt in Maßnahmen im Bereich Digitalisierung und Automatisierung – so viel wie noch nie in der Firmengeschichte. Das Ziel ist, sowohl die Prozesse und Materialflüsse zu verbessern als auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Drei Teilprojekte des Logistikkonzepts wurden im alten SAP WM bereits umgesetzt: die Entsorgung des Aluminiumabfalls aus den Produktionsbereichen über angebundene autonome mobile Roboter, der Transport von Fertigware durch dieselbigen sowie die Anbindung der neuen Verpackungslinie, die manuell, halb- und vollautomatisiert bedient werden kann. Dabei standen vor allem die Hardware und Änderungen in der Organisation im Fokus.
System an Organisation anpassen
Vor drei Jahren wurde dann der Umstieg von SAP WM zu EWM erforderlich: um eine nahtlose Anbindung der gesamten Hardware im Logistikbereich in der neuen Systemlandschaft sicherzustellen, individuelle Anforderungen der Fachbereiche zu erfüllen und weitere innovative Teilprojekte umzusetzen. „Aufgrund der vielen Automatisierungsprojekte war uns klar, dass wir so schnell wie möglich mit der Anbindung starten und auf weitere Eigenentwicklungen in der alten Lösung verzichten sollten“, erzählt Robert Brückner, Director IT and Digitalization bei Linhardt. „Dennoch wollten wir sicherstellen, dass die Integration von SAP EWM tatsächlich die richtige Wahl ist.“
Als Unterstützung holte sich Linhardt den IT-Dienstleister T.Con an die Seite. Das Team betrachtete zunächst alles „von der grünen Wiese“ aus und hinterfragte die bestehenden Prozesse – mit dem Ziel, dort Anpassungen vorzunehmen, wo der Kunde seine Wettbewerbsvorteile ausspielen kann. Stephan Nickl, SAP Senior Logistics Consultant bei der T.Con: „Bei Unternehmen mit sehr individuellen, kreativen Abläufen lohnt es sich, in Abstimmungen gedanklich dem Greenfield-Ansatz zu folgen, um sich von alten Prozessen zu lösen – auch wenn hinterher, wie bei diesem Projekt, die Umsetzung nach dem Brownfield-Ansatz erfolgt.“
Ein Argument für SAP EWM war, dass die Logistik-Module LE-WM und LE-TRA nicht mehr lange gewartet werden. Bei Unternehmen, die wie Linhardt auf S/4 umgestellt haben, endet der Support für WM sogar schon Ende 2025. Das bedeutet: Unternehmen müssen sich ohnehin Gedanken machen, wie es danach weitergeht. SAP EWM bietet sich dann an, wenn umfangreiche Funktionen, eine Datenverfügbarkeit in Echtzeit, die Auswertung großer Datenmengen sowie eine hohe Performance gewünscht werden.
Road to EWM
Start des EWM-Projekts war im Frühjahr 2023 mit dem Ziel, die Systemlandschaft an die Organisation anzupassen, um zukunfts-, innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Ausgangspunkt waren die Best Practices für SAP EWM. Darauf basierend wurden die bestehenden Prozesse ausgiebig beleuchtet und auf den Prüfstand gestellt. Gutes wurde beibehalten, Optimierungspotenziale wurden identifiziert und Lösungen umgesetzt. Das bedeutete: weg von den Abteilungen, hin zum durchgängigen Material-
fluss vom Einkauf über die Produktion bis zum Kunden. Außerdem sollten alle manuellen Prozesse digitalisiert werden. Das umfasste über 80 Geschäftsprozesse, wobei ein Prozess zum Teil mit fast 100 Testfällen verbunden ist.
Herausforderungen bei der Integration lagen vor allem im organisatorischen Aufwand. So mussten unter anderem alle 17.000 Lagerplätze mit fehlertoleranteren 2D-Barcodes und Ähnlichem neu beschriftet werden.
Umfangreich war zudem die Schulung der Mitarbeitenden. Hier wurden mehrere Integrationstests sowie Testwochen durchgeführt. Jürgen Löw, Business Lead Logistics bei T.Con: „Es empfiehlt sich, in diesem Bereich mit einer agilen Projektmethode zu arbeiten. Anwender werden von Beginn an mit dem System vertraut gemacht, können den Prozess mitgestalten und Rückfragen stellen – dadurch steigt die Akzeptanz.“
Positive Effekte nach kurzer Zeit
Der Go-live erfolgte nach 15 Monaten am Hauptsitz in Viechtach innerhalb des vereinbarten Zeit- und Budgetrahmens. Die positiven Effekte machten sich schon nach kurzer Zeit bemerkbar: Früher hatte Linhardt nur Lagereinheiten bei Fertigware, heute findet die Verwaltung der Handling Units im Roh- und Fertiglager statt.
Außerdem wurde der Bedarfsmonitor als Erweiterung des Lagerverwaltungsmonitors für die Materialbereitstellung komplett neu entwickelt. Der Monitor zeigt an, welches Material an welcher Produktionslinie benötigt wird, was bereits unterwegs ist und was verbraucht wurde. Offene Mengen können direkt aus dieser Transaktion über Lageraufgaben angelegt werden und erscheinen auf den Scannern, mit denen Mitarbeitende dann sofort weiterarbeiten. Durch eine Kombination aus Bedarfsmonitor, Scannerfunktionen zur PVB-Versorgung und retrograder Verbrauchsbuchung entfällt bei den Einstellern direkt an den Linien in der Produktion die manuelle und aufwendige Eingabe von Chargen, und zwar auch jener, die fehlen oder falsch sind. Die Bearbeitung erfolgt automatisch schneller und korrekter, und Chargen können nun detaillierter nachverfolgt werden. Insgesamt besteht mehr Transparenz über den Materialfluss, sodass dieser besser gesteuert werden kann.
Ein weiterer Aspekt ist die Einführung von Advanced Shipping Notice (ASN), also der Lieferankündigung per EDI: Auslieferungen werden erst vom Lieferanten erzeugt und führen dann mittels elektronischer Übertragung zu einem Inbound Despatch Advice (DESADV) bei Linhardt. Anschließend wandelt das SAP-System den Advice in eine Anlieferung um. Der Wareneingangsprozess wird insofern vereinfacht, als dass die manuelle Erstellung dieser syste-mischen Anlieferung (inklusive HU-Daten) entfällt; auch ist der Ablauf durch die Vor-belegung wesentlich effizienter als vorher. Zudem müssen Mitarbeitende keine zusätzlichen Etiketten im Eingangsprozess anbringen, da die Informationen der Lieferanten weiterverwendet werden.
Auch im Bereich der mobilen Anwendungen profitiert der Endanwender nun von einem besseren Look and Feel und einer höheren Benutzerfreundlichkeit. Neue Funktionen im SAP EWM, beispielsweise MobGUI in Kombination mit Screen Personas, erleichtern die Pflege und Anpassung auch für die interne IT. So können Hürden wie unübersichtliche Informa-tionsdarstellung oder fehlende Barrierefreiheit beseitigt werden.
Systemupgrade und Roll-outs
Die bewusste Entscheidung von Linhardt für eine intensive Automatisierung der Logistikprozesse führte zu der Wahl, die Entwicklungen entweder auf Basis eines abgekündigten Systems vorzunehmen oder frühzeitig den Schritt in Richtung SAP EWM zu gehen. Die entscheidenden Kriterien für das EWM waren, die geplanten Innovationen zukunftssicher umzusetzen und den neuesten Stand der Technik zu gewährleisten. Mit dem EWM hat das Unternehmen eine zentrale und zuverlässige Plattform für Automatisierung an der Hand, partizipiert an Weiterentwicklungen der SAP, kann Warehouse Insights evaluieren und Innovationen aus der Business Technology Platform nutzen. Konkret sieht die Planung weitere Prozessoptimierungen, das erste Systemupgrade sowie die Roll-outs auf die anderen Standorte vor. Ein größerer Schritt wird dann die Umstellung auf das neue Transportation Management System, SAP TM. Dank der Kombination von SAP EWM und TM wird Linhardt in Zukunft vom vollen Funktionsumfang der Logistiklösungen der SAP profitieren, wie beispielsweise Advanced Shipping and Receiving. (rk)