Dating in der Job-Disko
Dazu passt das Beispiel von Martin Schmidt aus Berlin (persönliche Angaben aus Gründen des Datenschutzes geändert). Der SAP-BI-Consultant hat in den letzten Jahren bei einem SAP-Beratungshaus mit Schwerpunkt Immobilienbranche gearbeitet. Zuletzt verspürt er zunehmend den Wunsch nach Veränderung. Der Branchenfokus ist ihm einfach zu eng und er beschließt, sich in andere Richtungen innerhalb des SAP-BI-Kosmos weiterzuentwickeln. Gesagt, getan. Bei seiner Berufserfahrung fallen Einstiegsangebote direkt weg. Seine Ansprüche sind höher. In seiner Kontaktliste steht der Name Benedikt Benninghaus. Und so nimmt der 34-Jährige direkt mit mir Kontakt auf.
Stellenanzeige allein reicht nicht
Als Leiter der Abteilung Recruiting/Marketing des mittelständischen IT-Dienstleisters Windhoff bin ich täglich im operativen Bereich tätig. Unser Unternehmen setzt auf Wachstum, innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der Mitarbeiter auf über 250 verdoppelt. Das ist eine positive Entwicklung, die bis heute anhält. Aber um den Kurs beizubehalten, braucht es die passenden Köpfe mit der notwendigen Expertise. Der War for Talents ist in der hochkompetitiven IT-Branche in vollem Gange: Experten sind rar, Projektanfragen zahlreich. Doch Geld, Urlaub oder Dienstwagen allein machen längst nicht mehr den Unterschied. Das Gesamtbild eines Arbeitgebers muss stimmig sein. Stellenausschreibungen können nicht mehr das zentrale Mittel sein.
Hier greift zum Vergleich das Bild eines Flirts in der Diskothek. In dieser Situation punktet in der Regel niemand mit der nüchternen Auflistung von Lebensfakten, sondern durch Emotionen und Charme. So gelingt es, die Aufmerksamkeit potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten zu sichern. Gegenüber dem Diskobesucher haben wir Recruiter sogar einen Vorteil. Oft finden sich bereits online Informationen zu den für uns interessanten Personen. Von daher haben wir Themen quasi auf dem Spickzettel parat, wenn es um die erste Kontaktaufnahme geht. Selbstverständlich entsteht dadurch keine hundertprozentige Erfolgsgarantie, aber die Chancen auf einen positiven Ersteindruck steigen. Und das ist für sich schon ein wertvolles Ergebnis.
Daraus kann der Anknüpfungspunkt für strategisches Recruiting entstehen, das die Struktur eines Sales Funnels oder Marketingtrichters hat. Ob man es Candidate Journey oder Verkaufsprozess nennt, am Ende ist wichtig, dass man viele Personen durch die einzelnen Stufen begleitet. Der Einstieg in diesen Prozess kann nicht nur durch den direkten Kontakt zu interessanten Personen, sondern ebenso auf eigenen Recruiting-Events oder durch ansprechenden Content geschehen. Es sollte immer das Ziel sein, einen sinnvollen und zielgruppengerechten Touchpoint zu entwickeln.
Nicht erkalten lassen
Genau diesen Ersteindruck aus dem Jahr 2017 hat Martin Schmidt im Hinterkopf, als er den Kontakt zu mir reaktiviert. Durch die Teilnahme an Events ist er sich sicher, dass die fachliche SAP-Perspektive gegeben ist. Dazwischen findet immer wieder ein Austausch statt. Es gibt so ein durchgehendes Signal, dass es an seiner Person Interesse von unserer Seite gibt. Tatsächlich geht es dann mit dem Jobwechsel ganz schnell. Innerhalb von 48 Stunden bekommt er ein Angebot vorgelegt. Das finale Treffen mit der Geschäftsführung und Consultingleitung findet in Hamburg statt. Dieses schnelle Reagieren auf eine akute Situation, die man lange und behutsam aufgebaut hat, ist von großer Bedeutung.
Die Absicht zu wechseln kommt meist nicht plötzlich oder wegen nur eines Anlasses, sondern die innere Entscheidung mehrt sich, wie weiter oben skizziert. Sich entlang dieses Entscheidungsprozesses als attraktiver Arbeitgeber dauerhaft zu positionieren ist das Wichtige. So ist die Abfolge der Recruiting-Pipeline strategisch angelegt, aber auch immer individuell. Dafür braucht es immer einen persönlichen Ansprechpartner für mögliche Bewerber.
Martin ist nun mein Kollege. Für mich als Recruiter zeigt sich daran, wie wichtig eine Recruiting-Pipeline ist, die ständig im Fluss ist. Kontakt halten, Interesse zeigen. Das sind zentrale Aspekte, die aber im Tagesgeschäft oft aus dem Blick geraten. An dem genannten Beispiel zeigt sich, dass der Aufwand sich durchaus lohnen kann. Die Liebe – und auch der Job – ist eben nicht immer pünktlich.