Indirekte Nutzung im SAP-Ecosystem
SAP ist eine Erfolgsgeschichte und mit Rang drei der einzig global operierende deutsche unter den zehn weltgrößten Softwareherstellern.
Die Bedeutung von SAP in der Softwareindustrie wird im Vergleich zu US-Playern gern etwas kleiner dargestellt. Mehr als 15.000 offizielle Partnerfirmen werden von SAP aufgelistet, das SAP Community Network (SCN) zählt mehr als zwei Millionen Mitglieder.
Autor und Analyst Vinnie Mirchandani schätzt die jährlichen SAP-Weltgesamtausgaben, also Beratung, Hardware, interner Aufwand, Software, Training etc., auf über 309 Milliarden US-Dollar.
Für SAP waren und sind die Partner mitentscheidend für den eigenen Erfolg. Sie unterstützen den Verkauf und die Implementierung von SAP-Software und steigern damit die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des SAP-Lösungsangebots erheblich.
Sie stellen lokale Berater zur Verfügung und entwickeln spezielle Software-Komponenten, ohne die die SAP-Lösungen für Kunden nicht einsetzbar oder weniger attraktiv wären.
Viele Partner bieten außer Beratungs- und Serviceleistungen auch eigene, ergänzende Softwarelösungen für SAP-Kunden an. Auch eine wachsende Zahl unabhängiger Softwarehersteller (ISVs) integrieren ihr Angebot für gemeinsame Kunden mit SAP-Lösungen.
Was hat sich im SAP- Ecosystem geändert?
Während SAP in der Vergangenheit ein Synonym für „Enterprise Resource Planning (ERP)“ war, wurde das Portfolio in den letzten Jahren sehr stark erweitert und zum universellen Lösungsangebot für faktisch alle Unternehmensbereiche, Branchen und Unternehmensgrößen ausgebaut.
Der SAP- Lösungsumfang zeigt sich eindrucksvoll in der 225 Seiten umfassenden SAP-Preis- und -Konditionenliste (PKL) mit über 1000 Positionen im zugehörigen Excel.
Neben organischem Wachstum und Eigenentwicklungen wie Hana setzt SAP massiv auf Akquisitionen (M&A) von Softwarefirmen. So wurden inzwischen über 50 Firmen – alleine in den letzten fünf Jahren für über 20 Milliarden US-Dollar – gekauft und integriert.
Zukäufe wie Ariba, Business Objects, Concur, FieldGlass, Hybris und Sybase erweiterten das SAP-Lösungsangebot erheblich. Dies führt nun aber auch zu Überschneidungen und Wettbewerb mit existierenden Partnerlösungen, die bis zur Übernahme das Angebot für SAP-Kunden vervollständigten und attraktiver machten.
In den letzten Jahren wandte sich SAP vermehrt an Kunden, die SAP-Lösungen in Verbindung mit Partnerlösungen im Einsatz haben. Nach Lizenz-Audits („Vermessung der Softwarenutzung“) forderte SAP regelmäßig nicht unerhebliche Nachzahlungen von Lizenzgebühren mit der Begründung, dass die SAP-Software durch den Kunden aufgrund der Partnerapplikation „indirekt“ genutzt wurde.
Zahlreiche Partner empfinden die geänderte Vorgehensweise als akute Gefahr für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg oder gar das zukünftige Überleben im SAP-Ecosystem.
Im Ecosystem gibt es beim Zusammenspiel von Partner- mit SAP-Lösungen einige Besonderheiten, die wie beim sprichwörtlichen Eisberg „im Verborgenen unter der Wasseroberfläche lauern“. Damit es Kunden und Softwarepartnern nicht wie der berüchtigten Titanic ergeht, ist es notwendig, mögliche Risiken zu erkennen und zu managen.
Verkauf von Partnerlösungen
Verkauft SAP Softwarelizenzen an Kunden, zahlen sie hierfür Lizenzgebühren auf Basis der Verträge und aktuellen Preis- und Konditionenliste. Analog zahlen Kunden auch an Partner eine Lizenzgebühr für deren Softwarekomponenten. So weit, so einfach.
Eine Besonderheit liegt darin, wenn SAP beim Einsatz von Partnerlösungen einen weitergehenden Lizenzanspruch für Zugriff auf Schnittstellen und auf die von der SAP-Software verwalteten Daten des Kunden geltend macht.
Dies wird von SAP als „indirekte SAP-Nutzung“ bezeichnet, wofür dann die „3rd-Party-Lizenzgebühren“ anfallen. Die fordert SAP nicht vom Partner, sondern direkt vom Kunden. Partner sind hierbei weder involviert noch haben sie Einblick oder Einfluss auf die von SAP geforderten Lizenzgebühren.
SAP leitet diese zusätzlichen Lizenzgebühren für die „indirekte SAP-Nutzung“ aus den Regelungen der mit den Kunden geschlossenen Verträge ab.
Auf der Kundenseite können u. a. folgende Dokumente die Vertragsgrundlage bilden: SAP Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), Endbenutzer-Lizenz-Vereinbarung (Enduser-License-Agreement ELA), SAP-Preis- und -Konditionsliste (PKL), Wartungsverträge und Servicevereinbarungen.
Auf der Partnerseite sind dies u. a.: Zertifizierungen und Partnerverträge wie z.B. SAP PartnerEdge.
Des Weiteren besteht auch noch eine Vertragsbeziehung zwischen dem Partnerunternehmen und dem Kunden bzgl. seiner Softwarelösung.
Was ist das Problem?
Die teilweise drastischen Kostensteigerungen durch die „indirekte SAP-Nutzung“, nicht selten von 100 Prozent und mehr, sind für Kunden meist unvorhersehbar und überraschend.
Der Einsatz von Partnerlösungen kann damit unwirtschaftlich werden, was Partner hart trifft, wenn Kunden ihre Kaufentscheidungen wegen der hohen zusätzlichen Lizenzkosten für SAP zurückstellen oder angeschaffte Lösungen aufkündigen.
Als wesentliche Treiber dieser Entwicklung sehen Kunden und Partner die Abschaffung der für den Einsatz von Partnerlösungen gedachten und preislich attraktiven SAP Platform User Licenses (PUL), bei gleichzeitiger Lizenzpflicht für die „SAP NetWeaver Foundation for Third Party Applications Software“, auch wenn NetWeaver nicht genutzt wird.
Für Softwarehersteller, die ihr Geschäft im Wesentlichen mit den vielen SAP-Kunden machen, ist diese Entwicklung sehr kritisch, da die eigene komplementäre Softwarelösung dadurch faktisch nicht mehr vertrieben werden kann.
Des Weiteren schränkt SAP durch ihr Vorgehen die Interoperabilität von unabhängig entwickelter Software massiv ein, sodass dieses Handeln dem gesetzlichen Leitbild in Paragraf 69e des Urheberrechtsgesetzes entgegenstehen könnte, welches das „Zusammenspiel“ von Komponenten unterschiedlicher Hersteller zur Verhinderung von Datensilos fördern soll.
Ein interessanter Aspekt beim Vorgehen der SAP ist, dass eigene Softwarelösungen und die ausgewählter Partner, die über die SAP-Preisliste angeboten werden (OEM, Resell, EBS), nicht unter die „indirekte SAP-Nutzung“ fallen.
Das hat zur Folge, dass SAP und wenige Partner einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber sonstigen Drittapplikationen bzw. Partnerlösungen haben.
Diese Entwicklungen verunsichern nicht nur Kunden und Partner, sondern bergen auch Risiken für den Erfolg des gesamten Ecosystems, weil Investitionen hinausgezögert oder SAP-Alternativen den Vorzug erhalten könnten.
Das Risiko für das SAP-Ecosystem steigt auch deshalb, weil Partner i. d. R. nicht nur in eigene Softwarelösungen investieren, sondern u. a. auch in: Anschaffung von SAP-Entwicklungs- und -Testlizenzen, Aufbau und Betrieb von SAP-Infrastruktur, Rekrutierung und Ausbildung von Mitarbeitern, Anpassung an SAP-Schnittstellen, wiederkehrende SAP-Zertifizierungen, jährliche Gebühren für unterschiedliche SAP-Partnerprogramme, gemeinsame Programme und Marketingmaßnahmen etc.
Was kann das SAP- Ecosystem tun?
Sicherlich kann man davon ausgehen, dass die meisten Beteiligten auch weiter am Erfolg des SAP-Ecosystems interessiert sind. Für alle Beteiligten erscheint es notwendig, das Problem „indirekte SAP-Nutzung“ – analog zum Eisberg-Beispiel – rechtzeitig zu erkennen und zu „umschiffen“.
Helfen können hierbei evtl. die Vertreter der SAP-Anwender (DSAG), der Partner-Community (IA4SP) und der SAP selbst (ggf. mit Unterstützung erfahrener Softwareanwälte), um wichtige Fragen zu klären wie beispielsweise:
- Wie kann die aktuelle Verunsicherung bei Kunden und Partnern schnellstmöglich aufgelöst werden?
- Wie kann die – ja auch vom Urheberrecht geforderte – notwendige Interoperabilität zwischen SAP und Partnerlösungen langfristig sichergestellt werden?
- Wie kann eine angemessene Kompensation für SAP aussehen und effektiv geregelt werden?
- Wie kann verhindert werden, dass Interoperabilität zur Umgehung von berechtigten Lizenzforderungen der SAP ausgenutzt wird?
- Wie können Partner-Investitionen in das SAP-Ecosystem (besser) geschützt werden?
- Wie kann das SAP-Ecosystem insgesamt gemeinsam weiterentwickelt werden?